Interview: Erich Gmünder 500 Jahre ist es her, dass sich auch im Appenzellerland die Reformation ausbreitete und den Kanton in zwei Lager und später zwei Hälften spaltete. Wie hat sich 500 Jahre danach das Zusammenleben zwischen den Konfessionen entwickelt? Ist von den Animositäten noch etwas zu spüren?
Darüber sprachen wir mit den beiden reformierten Pfarrerinnen Verena Hubmann und Andrea Anker sowie dem katholischen Pfarreileiter Stefan Staub.
500 Jahre seit der Glaubensspaltung – ist von den einstigen Zwisten zwischen den Konfessionen noch etwas zu spüren?Andrea Anker: Solche Geschichten hört man manchmal noch von älteren Gemeindegliedern, die zum Beispiel gegen den Willen ihrer Eltern einen Partner aus der anderen Konfession geheiratet haben. Aber die Leute sagen: Gott sei Dank ist das heute vorbei. Gewisse Differenzen sind noch zu spüren. Diese Eigenheiten wollen wir aber bewusst pflegen und erhalten.
Verena Hubmann: Heute begegnet man sich auf Augenhöhe, in aller Verschiedenheit. Man lernt voneinander und schätzt gleichzeitig das Eigene. Ich finde gerade die Begegnung aus der Verschiedenheit heraus spannend, anregend und bereichernd.
Stefan Staub: Über die alten Geschichten kann man heute schmunzeln. Heute gibt es viele Leute, denen ist es egal, ob sie einen katholischen oder reformierten Gottesdienst besuchen. Vor allem von Leuten, die in Mischehen leben, höre ich immer wieder, warum seid ihr denn überhaupt noch getrennt.
[grauer-kasten title=“Reformierte und Katholiken fast gleichauf “ text=“1524 entschied sich auch die Kirchhöre von Teufen für den neuen Glauben; Katholiken mussten die Gemeinde verlassen. Heute liegen die beiden Konfessionen fast gleichauf. Ende 2016 zählte Teufen 2’404 Reformierte und 2’212 Katholiken (jeweils inkl. Wochenaufenthalter). Dazu kommen 1’668 Andere (Konfessionslose und Angehörige anderer Religionen). Die Statistik wurde von der Gemeinde 1995 erstmals erfasst. Damals zählte Teufen 2’726 Reformierte, 1’913 Katholiken sowie 754 Andere. “ ]
Spüren Sie noch Unterschiede bei Ihren Gläubigen?
Staub: Es gibt ganz wenige, die zum Beispiel nie in einen ökumenischen Gottesdienst kommen würden. Aber die kommen auch nicht, wenn ich einen speziellen Gottesdienst anbiete. Die wollen einfach den gewohnten Ablauf.
Hubmann: In den Altersheimen nehmen die Menschen ungeachtet ihrer Konfession gern an den Andachten teil. Aber es gibt Situationen, z.B. wenn ein Mensch im Sterben liegt, wo es wichtig ist, dass der eigene Pfarrer, die eigene Pfarrerin da ist.
Anker: Bei den Reformierten gibt es einige, die den klassischen Predigtgottesdienst mit einer gehaltvollen Bibelauslegung am meisten schätzen – wobei natürlich auch ein ökumenischer oder katholischer Gottesdienst diesem Bedürfnis entsprechen kann.
Wie beurteilen Sie ganz allgemein die Ökumene in Teufen?
Hubmann: Ich glaube, in Teufen wird die ökumenische Zusammenarbeit von einer ganz grossen Mehrheit geschätzt und als sehr gut, offen und lebendig wahrgenommen.
Anker: Teufen hat ja auch mit der Einführung der ökumenischen Chinderfiir und des ökumenischen Unterrichts eine Vorreiterrolle eingenommen.
Staub: Wir haben mittlerweile viele Anlässe, die von einer Seite initiiert wurden und die nun gemeinsam angeboten werden oder offen sind für alle Konfessionen. Neben den klassischen ökumenischen Gottesdiensten sind das beispielsweise «Gemeinsam is(s)t Weihnacht », die Senioren- oder die Pfarreiferien, der Kontaktzmittag oder das ökumenische Lager zu Hause.
Wie erklären Sie den Leuten die Unterschiede zwischen reformiert und katholisch?
Hubmann: Das Priestertum aller Glaubenden ist bei den Kirchen der Reformation zentral. Das heisst, genau genommen ist jede und jeder dazu berufen, zu predigen, zu taufen, zu segnen. Faktisch tun es dann die ordinierten Pfarrerinnen und Pfarrer. Dass ich als Frau vollwertige Pfarrerin sein kann, hat damit zu tun und ist mir persönlich sehr wichtig.
Wenn in der katholischen Kirche Gottesdienste auf Deutsch oder gar in Dialekt gefeiert werden, so dass man jedes Wort verstehen kann, hat man damit auch ein urreformatorisches Anliegen umgesetzt. Andrea Anker
Anker: Ja, im Amtsverständnis gibt es gewichtige Differenzen: In der katholischen Kirche dürfen nur zölibatär lebende Männer zum Priester geweiht werden. Und die Kirche ist stärker hierarchisch aufgebaut, es gibt den Papst in Rom, während auf der anderen Seite die reformierte Kirche eher republikanisch, mehr basisdemokratisch verfasst ist. Einen grossen Unterschied gibt es auch im Verständnis des Abendmahls resp. der Kommunion und natürlich was die Verehrung von Heiligen, besonders von Maria anbelangt.
Staub: Ich denke, viele Leute sehen die Unterschiede nicht so stark. Für sie ist einfach entscheidend, ob sie im Gottesdienst etwas für sich mitnehmen können.
Wo haben sich die Kirchen aufeinander zubewegt?
Anker: Wenn in der katholischen Kirche Gottesdienste auf Deutsch oder gar in Dialekt gefeiert werden, so dass man jedes Wort verstehen kann, hat man damit auch ein urreformatorisches Anliegen umgesetzt.
Staub: Auf der katholischen Seite wurde das Latein abgeschafft, der Priester wendet sich dem Volk zu, und die Predigt hat an Gewicht gewonnen, damit die Menschen auch vom Wort her etwas mitnehmen.
Ich könnte mir nicht vorstellen, in einer Kirche tätig zu sein, in der es mir als Frau – trotz ebenbürtiger Ausbildung – verwehrt ist, vollwertig und gleichberechtigt als Pfarrerin zu arbeiten. Verena Hubmann
Hubmann: Im Zuge der Reformation hat man die Kirchen ausgeräumt, es gab Bilderstürme, Kirchenmusik war eine Zeitlang verpönt. Später hat man das eine oder andere wieder eingeführt: Musik spielt heute eine wichtige Rolle im Gottesdienst, wir zünden Kerzen an…
Noch heute muss ich schmunzeln ob dem älteren Mesmerstellvertreter in der Appenzeller Gemeinde, in der ich während des Studiums meine ersten Gehversuche als Pfarrerin machte: Kurz vor Gottesdienstbeginn bemerkte ich, dass die Kerzen noch nicht brannten, auf mein Nachfragen hin sagte er, die müsse ich selber anzünden, ihm sei das zu katholisch…
Könntet ihr euch eine Wiedervereinigung vorstellen? Was wären die grössten Hindernisse ausser vielleicht dem Papst?
Ich versuche den Menschen zu zeigen, dass wir als Pfarrei ein Ort sind, wo das Leben thematisiert wird. Stefan Staub
Staub: Die Liturgie mit der Messe, die Sakramente… Wenn das alles wegfiele, wäre das für viele, die damit aufgewachsen sind, sicher schwierig.
Anker: Ich denke auch, das unterschiedliche Verständnis des Abendmahls ist ein grosses Thema. Und die Frage, wem welche Autorität in der Kirche und bei theologischen Streitfragen zukommt.
Hubmann: Mir ist die Frauenordination ein zentrales Anliegen. Ich könnte mir nicht vorstellen, in einer Kirche tätig zu sein, in der es mir als Frau – trotz ebenbürtiger Ausbildung – verwehrt ist, vollwertig und gleichberechtigt als Pfarrerin zu arbeiten.
Gibt es Dinge, um die ihr euch gegenseitig beneidet?
Hubmann: Gewisse Rituale vielleicht. In der Begleitung von Sterbenden fehlt mir manchmal ein Ritual wie die Krankensalbung. Wir müssen solche Rituale selber erfinden, es gibt keine Selbstverständlichkeit darin, es ist ein ständiges Abtasten und Ausprobieren. Oder auch gewisse liturgische Abläufe, mit denen man einfach vertraut ist. Oder dass die katholische Kirche mit dem Papst eine Stimme hat, die weltweit gehört wird und die christlichen Werte nach aussen vertritt.
Die Verbundenheit vieler Katholiken mit ihrer Kirche vermisse ich in der reformierten Kirche manchmal schon. Andrea Anker
Andrea Anker: Um den Papst beneide ich die Katholiken nicht. Was ich bei der katholischen Kirche aber schön finde, ist die Verbundenheit vieler Gläubigen mit der Kirche, dass es viele treue Kirchgängerinnen und Kirchgänger gibt, die regelmässig die Messe besuchen. Diese Verbindlichkeit, die es übrigens auch bei vielen Freikirchen gibt, vermisse ich in der reformierten Kirche manchmal schon.
Staub: Bei mir ist es der wunderbare Kirchenraum in der Grubenmannkirche, mit seiner Geschichte und seiner Akustik. Das können wir nicht bieten.
Beide Kirchen sind von Austritten betroffen. Warum laufen Mitglieder davon?
Anker: Das Bild vom Davonlaufen stimmt für mich nicht. Nachbefragungen durch uns zeigen, dass vor allem Menschen austreten, die schon jahrelang ein sehr distanziertes Verhältnis zur Kirche hatten und schon lange keine Kirche mehr von innen gesehen haben. Es ist kein aktives «Davonlaufen», sondern eher ein stilles «Zurücktreten»; die Kirche schrumpft quasi an den Rändern, was es übrigens besonders schwierig macht, dem entgegenzuwirken, weil wir zu den Austretenden oftmals keine Beziehung haben.
Hubmann: Oft merkt man ja, dass gerade die Steuererklärung ins Haus gekommen ist. Das ist dann noch der letzte Auslöser. Es gibt auch Menschen, die früher einmal eine negative Erfahrung gemacht haben. Sie sind nicht bereit, ihr Bild von einer verstaubten, lebensfernen Kirche zu überprüfen. Kämen sie wieder einmal in einen Gottesdienst, würden sie sofort feststellen, dass sich vieles verändert hat, dass Kirche lebendig sein kann und dass da Menschen sind, mit denen man ganz gut reden kann.
Staub: Ich gehe den Gründen nicht nach, ausser wenn es sich um Familien mit Kindern handelt. Ich denke auch, dass es oft Menschen sind, die sich mit dem Herzen schon länger verabschiedet haben und jetzt die letzte Konsequenz ziehen.
Ich versuche den Menschen zu zeigen, dass wir als Pfarrei ein Ort sind, wo das Leben thematisiert wird. Im Zusammenhang mit dem Hilfsprojekt für Kurdistan durften wir auch wieder einige Eintritte verzeichnen von Leuten, die früher mal ausgetreten waren.
Wie ist die Religiosität in Teufen ganz allgemein? Ist Teufen ein schwieriges Pflaster?
Hubmann: Das erlebe ich nicht so, im Gegenteil. Wir machen aber auch viel. Wir nehmen die Gestaltung der Gottesdienste ernst, sprechen die Menschen mit Musik und mit lebensnahen Predigten an. Wir machen Besuche im Spital, in den Altersheimen, an runden Geburtstagen. In meinen Augen leistet Kirche ganz viel wichtige Beziehungsarbeit.
Staub: In Teufen kann ich nicht wie beispielsweise in katholischen Stammlanden im Kanton St.Gallen auf einen gewachsenen Katholizismus zurückgreifen. Aber ich spüre hier noch stärker als an früheren Stellen eine gewisse Treue.
Anker: Das mag mit dem dörflichen Charakter von Teufen zusammenhängen: Jedenfalls sind viele Leute bereit, sich zu engagieren, und zwar aus allen Altersgruppen.
Wo sehen Sie die Kirche im Jahr 2050?
Anker: Das ist eine schwierige Frage. Wir wissen nicht einmal, was morgen sein wird. Aber wahrscheinlich werden die Herausforderungen durch Austritte wie auch durch andere Religionen zunehmen. Wir werden klarer sagen müssen, was christlicher Glaube beinhaltet und wofür die Kirche als Gemeinschaft steht.
Wenn die Kirchen meinen, sie könnten es machen, wie sie es immer gemacht haben, werden sie schnell weg sein. Stefan Staub
Staub: Wir werden sicher noch stärker herausgefordert, die Kerngemeinden werden kleiner, wenn die Altersstrukturen wegbrechen. Wir müssen vermehrt zu den Leuten gehen.
Hubmann: Es kann auch eine Chance sein, wenn Selbstverständlichkeiten wegfallen. Vielleicht schätzt man auch wieder mehr, was man hat und ist eher bereit, sich zu engagieren. Ausserdem kann ich mir gut vorstellen, dass man sich, sollte es uns wirtschaftlich einmal nicht mehr so gut gehen, wieder vermehrt auf die christlichen Werte besinnt.
Staub: Das spüre ich schon jetzt, besonders in den vielen Taufgesprächen mit jungen Eltern. Sie machen sich Sorgen über den Zustand unserer Welt und wollen, dass ihre Kinder nicht einfach «im Nichts» aufwachsen.
Glaubensspaltung
Appenzell war insofern ein Spezialfall, als sich jede Gemeinde zwischen dem alten und dem neuen Glauben entscheiden konnte. Besiegelt wurde das mit der Landteilung anno 1597. Damals spaltete sich der Kanton: Jene, die am alten Glauben festhalten wollten, bildeten den Kanton Appenzell Innerrhoden mit der Exklave Oberegg, während die Mehrheit der Gemeinden zum neuen Glauben übertrat und seither den Kanton Appenzell Ausserrhoden bildet. Mit diesem salomonischen Entscheid wurde der Frieden gewahrt. Heute leben auch im katholischen Innerrhoden evangelische Christen, und umgekehrt sind in den Ausserrhoder Gemeinden Katholiken zugezogen. In vielen Gemeinden stehen eine reformierte und eine katholische Kirche sowie Gebetsstätten von anderen Konfessionen oder Religionen. EG
Nacht der Kirchen
Mit einem vielfältigen Programm feiern die reformierten Kirchen im Rotbachtal am 4. November das Reformationsjubiläum. Zum Angebot in Teufen gehören Führungen auf den Kirchturm und eine Ausstellung zur Grubenmannkirche sowie ihrer «Kirchenschätze», ein Luther- Geländespiel für Kinder und Jugendliche, ein Podiumsgespräch, bei dem (selbst-)kritisch gefragt wird: «Was gibt es da zu feiern?», verschiedene Konzerte, eine spezielle Kirchenbeleuchtung und die Möglichkeit, um Mitternacht in der Kirche zu tanzen und zu träumen. Im Kirchgemeindehaus kann man Spezialitäten aus der Reformationszeit verköstigen oder im Raum der Stille meditieren. Der Eintritt ist frei. Schauen Sie vorbei und lassen Sie sich überraschen! Weitere Infos: www.ref-teufen.ch