«Die Musik stirbt nie»

02.04.2021 | Timo Züst
AVA (1)
Ein Einblick in den provisorischen Proberaum der Band «WE ARE AVA». Am Schlagzeug sitzt Andy Schwendener, am Keyboard Nicola Holenstein und Sängerin ist die Teufnerin Kim Lemmenmeier. Fotos: tiz

Die Band «WE ARE AVA» mit der Teufner Sängerin Kim Lemmenmeier hat trotz Corona ein produktives Jahr hinter sich. Diesen Herbst soll ihr Debut-Album erscheinen. Aber: Einfach ist die Krise für die passionierte Liveband nicht. Ein Gespräch über fehlendes Publikum, wachsende Frustration, neuen Raum für Kreativität und Geld.

Hallo zusammen, sorry für die Störung. Steckt ihr mitten in den Proben?

Kim Lemmenmeier: Alles gut, wir haben noch den ganzen Nachmittag Zeit. Wir proben seit einer Weile hier in Nicolas Wohnung – unser Bandraum ist wegen eines Wasserschadens ausser Gefecht.

Am Mittwochabend wart ihr beim Live-Stream von «Saint City Orchestra» dabei. Habt ihr euch nach dem vergangenen Jahr mittlerweile an das Spielen ohne Publikum gewöhnt?

Kim: Es ist nach wie vor seltsam, auch wenn wir nun schon bei sechs oder sieben solcher Events dabei waren. Und uns auch jedes Mal riesig freuen. Aber das Fehlen des Publikums fällt halt schon sehr auf, insbesondere während der Stille zwischen den Musikstücken.

Andy Schwendener (Schlagzeug): Ich habe es am Mittwoch sehr genossen, dass wiedermal so viel los war: Andere Musiker, Ton- und Lichttechniker, Kameraleute etc. Schon dieser Austausch ist viel wert.

Kim: Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich mich fürs Klatschen bedanke, auch wenn niemand da ist (lacht). Aber ich habe online doch schon ein paar Mal gelesen, dass daheim geklatscht wurde. Also behalte ich das wohl bei.

Als Zuschauer ist es ein besonderes Gefühl im Publikum zu stehen. Man ist Teil einer gleichgesinnten Menschengruppe und erlebt eine Art kollektiven Musikrausch. Was macht für euch die Anwesenheit des Publikums aus?

Kim: Es herrscht eine ganz andere Atomsphäre und man spürt eine direkte Resonanz. Nicht nur auf die Musik – auch auf alles Gesagte oder auf Gesten.

Nicola Holenstein (Keyboard): Das Live-Spielen hat auch noch einen ganz anderen Aspekt. Während für eine Streaming-Session sehr vieles genau geplant werden kann, kommt es bei einem Konzert immer zu Unvorhergesehenem, auf das man reagieren muss. Es ist deshalb ein komplett anderes Erlebnis.

Ist es herausfordernder als vor der Kamera? Ist vielleicht das Risiko grösser?

Kim: Nicht unbedingt. Klar: Es ist unangenehm, wenn vor einem grossen Publikum etwas schiefgeht. Aber abgesehen von wackeligen Handy-Aufnahmen sind solche Patzer ja nirgends festgehalten. Es geschieht im Moment und bleibt dort. Videoaufnahmen sind aber immer wieder abrufbar. Da kann ein Fehler viel schwerer wiegen.

Nicola: Genau. Ein Live-Konzert hat deshalb auch diese Magie des Vergänglichen. Es ist einmalig und irgendwann vorbei. Deshalb sollte man diese Zeit auch nicht hinter dem Handybildschirm verbringen.

Und wie sehr fehlt es euch?

Andy: Sehr. Ich bin in der Band wohl derjenige, dessen Herz am stärksten für Live-Auftritte schlägt. Aber wir sind auch ganz grundsätzlich eine Live-Band, oder?

Kim: Ja, absolut. Das fehlt uns deshalb schon sehr. Nicht nur psychologisch; Konzerte haben auch immer unsere Bekanntheit gesteigert – und waren natürlich auch finanziell lukrativ.

Hat Corona ein Loch in die Band-Kasse gefressen?

Kim: Andy? Du bist der Buchhalter (lacht).

Andy: Die Gagen von den Live-Auftritten und die Einnahmen aus den Merch-Verkäufen fehlen natürlich sehr. Auch wenn wir das Budget mit den Streaming-Auftritten etwas aufgebessert haben. Trotzdem: Bis jetzt ist uns das Geld nicht ausgegangen und wir konnten immer arbeiten.

Woran habt ihr im vergangenen Jahr gearbeitet?

Kim: Wir hatten das Glück, dass uns die Krise sozusagen im richtigen Moment erwischt hat. Bis im Herbst 2019 waren wir mit unserer EP beschäftigt. Und eigentlich waren für den Sommer 2020 diverse Konzerte geplant. Ein grosser Release stand also nicht an. Wir konnten uns deshalb ein neues Ziel setzen. Und das war unser Debutalbum.

Wie weit seid ihr?

Kim: Auf der Zielgerade. Das Album wird noch dieses Jahr herauskommen – allerdings nicht vor dem Herbst.

Mit Plattentaufe?

Kim: Das hoffen wir. Es wäre schon sehr traurig, wenn wir die neuen Songs bzw. das Album zum ersten Mal nicht vor einem Live-Publikum spielen könnten.

Ihr habt vor Kurzem die Single «Conquer me» veröffentlicht. Das geschah rein digital. Wie war das?

Kim: Das war sehr gut. Grundsätzlich haben wir mir der Veröffentlichung neuer Songs während Corona eigentlich gute Erfahrungen gemacht.

Nicola: Ja, es scheint, die Leute freuen sich derzeit noch mehr über neue Musik als sonst. Das spürt man.

Andy: Bei einer Single ist es aber auch noch einmal etwas anderes als bei einem ganzen Album. Da will man dann schon eine Plattentaufe mit Publikum feiern können.

Im Theater und in der Gärtnerei

Die Band «WE ARE AVA» hat mit ihrem Musikvideo zur Single «Conquer me» ein Zeichen gesetzt. Gedreht wurde es im leeren Theater Solothurn. Sängerin Kim Lemmenmeier: «Wir wollten damit das leere Theater etwas porträtieren und dieses Bild der Sitzreihen ohne Zuschauerinnen und Zuschauer sichtbar machen.» Demnächst erscheint ein zweites Video mit Gastmusikern, das in einer ganz besonderen Location aufgenommen wurde: Einer Gärtnerei. «Das war die Alternative für den geschlossenen, botanischen Garten.»

Ihr habt während Corona ein ganzes Album aufgenommen. Dafür habt ihr mit drei Produzenten zusammengearbeitet. Hat euch das Virus nie einen Strich durch die Rechnung gemacht?

Nicola: Erstaunlicherweise nicht. Das hat uns selbst überrascht. Niemand von uns hatte bisher Corona oder musste in Quarantäne. Und auch alle mit denen wir zusammengearbeitet haben, konnten die Termine immer wahrnehmen. Genug Situationen für einen unpraktischen Ausfall hätte es auf jeden Fall gegeben.

Was ist mit der Inspiration? Ging euch die nie aus?

Kim: Das war gar kein Problem. Schliesslich ist das auch eine einzigartige und sehr fordernde Zeit – auch das wirkt inspirierend. Ausserdem waren wir so oft und lange im Studio bzw. am Proben wie sonst wohl nie. Auf gewisse Art hat uns die Pandemie einen neuen Raum für unsere Musik geöffnet.

Nicola: Dabei hat sicher auch geholfen, dass wir eine Band und keine One-Man-Show sind. So hat man doch einen Austausch und ist nicht komplett auf sich selbst zurückgeworfen. Aber uns haben die Live-Konzerte anderer Bands schon auch sehr gefehlt. Sie sind eine wertvolle Inspirationsquelle.

Aber die jetzige Situation muss euch doch auch frustrieren. Schon zum zweiten Mal fällt eure Premiere am OpenAir St. Gallen ins Wasser …

Kim: Es wird schon immer frustrierender. Anfangs hatten wir uns gesagt: Okay, 2020 ist jetzt halt abgesagt, dafür wird 2021 wieder gut. Langsam fehlt einem aber die Perspektive. Wir hoffen deshalb, dass im Sommer wenigstens wieder kleine Konzerte und Veranstaltungen möglich sein werden.

Andy: Man verlernt irgendwie die Vorfreude. Wir haben es nun so oft erlebt, dass Konzerte angesagt wurden und dann doch nicht stattgefunden haben. Wenn wir jetzt eine Einladung bekommen, ist die Reaktion statt grosser Freude eher ein verhaltenes: Naja, wir schauen mal. Das ist schon sehr schade.

Trotzdem: Ihr scheint euch eine positive Grundstimmung bewahrt zu haben.

Kim: Ich denke schon, ja. Wir können auch sagen, dass wir das vergangene Jahr so gut wie möglich genutzt haben. Ausserdem gibt es viele – auch unter den Musikern – denen es viel schlechter geht.

Nicola: Zum Beispiel denen, die im Frühjahr 2020 ein neues Album herausbringen wollten. Das ist dann schon sehr brutal.

Die neue Single «Conquer Me»


Ihr verbringt viel Zeit miteinander. Diskutiert ihr noch über Corona bzw. die Corona-Politik? Und seid ihr da einer Meinung?

Kim: Wir sind wertetechnisch und politisch ziemlich auf einer Wellenlänge. Und wir sind alle selbstreflektiert genug, um zu wissen, dass wir froh darüber sein können, gerade kein Bundesrat zu sein.

Andy: Ja, wir können uns deshalb auch heute noch über Corona unterhalten. Das ist kein Tabu-Thema bei uns.

Nicola: Ich denke ohne ähnliche Grundwerte funktioniert eine Band längerfristig gar nicht.

Die Pandemie-Vorschriften werden teilweise das «New Normal» genannt. Würdet ihr weiter Musik machen wollen, wenn wir nie zum «Old Normal» zurückkehren könnten?

Kim: Ich würde auf jeden Fall weitermachen. Die Musik gibt mir so viel und hilft mir auch dabei, persönliche Erlebnisse zu verarbeiten.

Nicola: Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass wir nie zur früheren Situation zurückkehren. Die Menschen vermissen es zu sehr, sich nahe sein, an Konzerte gehen und Kultur live erleben zu können. Aber ja: Auch ich würde nicht aufhören. Denn diese Pandemie hat uns auch auf neue Ideen gebracht, die wir sonst nie gehabt hätten: Zum Beispiel die Idee eines Balkon-Konzerts mit Drohnen-Aufnahmen und natürlich die Streaming-Geschichten. Nächste Woche zeigt sogar eine amerikanische Plattform ein Video von uns – das wäre sonst nie passiert. Anders gesagt: Die Musik stirbt nie.

Euch gibt es «erst» seit drei Jahren. War das in dieser Zeit ein Vor- oder Nachteil?

Kim: Eher ein Vorteil. Wir müssen noch kein grosses Image schützen wie bekannte Bands. Wir mussten uns nicht überlegen, wie so ein Gartenkonzert wohl wirkt oder ob wir eine Low-Budget-Produktion im Impro-Studio machen sollen. Wir sind noch sehr frei.

Zum Abschluss noch eine positivere Zukunfts-Vision: Wann ist Corona für euch «wirklich» vorbei?

Alle: Wenn sich bei einem Konzert wieder richtige Menschenmeere bilden, in denen sich alle umarmen, tanzen, trinken und feiern – ohne an Angst davor, sich zu nahe zu kommen.  tiz

 

Hinweis: Die nächste Single von «WE ARE AVA» erscheint am 23. April. Weitere Infos auf der Band-Website oder den Social Media Kanälen.

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