Matthias Jäger
Online Medien sind schnell. Das gilt üblicherweise auch für die Tüüfner Poscht Online. Dort hat unser Chefredaktor den Ehrgeiz, schneller zu sein als die gedruckte Konkurrenz. Bei der Berichterstattung über das Zeughausgespräch zur Medienkrise praktizieren wir das, wofür auch das Project R steht, Entschleunigung.
Zeughaus und Tüüfner Poscht luden am 9. Mai gemeinsam zu einem Zeughausgespräch zur Medienkrise. Anlass war die Lancierung des „Project R“ (siehe Stichwort am Ende dieses Beitrages) mit Nadja Schnetzler, einer ehemaligen Teufnerin, als Mitinitiantin.
Hanspeter Spörri, ehemaliger Chefredaktor «Der Bund», diskutierte mit Nadja Schnetzler und Gottlieb Höpli, ehemaliger Chefredaktor «St.Galler Tagblatt» und einem etwa 50-köpfigen Publikum. Mitinitiant Christof Moser musste sich krankheitshalber entschuldigen lassen.
Project R – Phänomenal erfolgreiches Crowdfunding
Das Project R verfügt über ein innovatives Team mit Nadja Schnetzler als Präsidentin der Genossenschaft, und mit Christof Moser und Constantin Seibt über zwei journalistische Schwergewichte. Ein Produkt existiert aber noch nicht, das ist sogar noch ziemlich nebulös. Trotzdem erwischte das Project R beim Crowdfunding einen Traumstart, landete einen phänomenalen Erfolg. Das allein, so die Gesprächsrunde, sei ein starker Indikator für die real existierende Medienkrise. Das Gefühl der Initiativgruppe, es sei an der Zeit, an die Öffentlichkeit zu treten, traf offensichtlich auf ein weit verbreitetes Gefühl bei einer potenziellen Leserschaft, es brauche etwas Neues. Gottlieb Höpli hörte auch im traditionellen Medienumfeld keine einzige Stimme, die das Projekt als «Chabis» und aussichtslos vorverurteilte. Er sieht darin einen weiteren Indikator dafür, dass eine solche Initiative einen Nerv treffen könnte.
„Erschlaffte Branche“
Die Medienkrise sei vergleichbar mit der Textilkrise, stellte Hanspeter Spörri einleitend fest, und sie bewirke ähnlich tiefgreifende Umwälzungen. Sie kam nicht über Nacht, entwickelte sich langsam. Er habe schon vor vielen Jahren Redaktionen halbieren, zusammenlegen und Mitarbeitende entlassen müssen. Im Lauf der Zeit verlor eine ganze Branche ihr ursprünglich erfolgreiches Geschäftsmodell. Das habe, so Gottlieb Höpli, unter anderem damit zu tun, dass in den Anfängen der Digitalisierung Zeitungen ihre Inhalte gratis ins Netz stellten. Der Wechsel zurück zum bezahlten Online-Abo sei in der Folge nur noch beschränkt goutiert worden.
Funktionierende Medienprodukte sind heute entweder lokal (wie die Tüüfner Poscht), überregional oder Gratiszeitungen. Im ungemütlichen Sandwich dazwischen finden sich die traditionellen regionalen Titel. Die Verlegerszene entwickelte sich, so Gottlieb Höpli, zu einer insgesamt erschlafften Branche, die selber nicht mehr wirklich an den Journalismus glaubt. Die verlegerische Frage sei nicht mehr diejenige nach dem richtigen journalistischen Produkt, sondern diejenige, womit man überhaupt noch Geld verdienen könne. Das Project R hat das Potenzial, Begeisterung auslösen zu können. So etwas gab es, war sich die Gesprächsrunde einig, in der Medienszene seit Jahren nicht mehr.
Was macht das Project R anders?
Das Project R ist nicht die erste Initiative zur Lancierung neuer Medien, und es wäre nicht der erste Versuch, der scheitern würde. Zwei Weichen will das Project R für ihr Online Magazin Republik anders stellen, eine verlegerische und eine journalistische.
Minderheitseigner der AG Republik, der Herausgeberin des Magazins, sind die Genossenschaft Project R (die Genossenschaft der Leserinnen und Leser), die Mitarbeitenden, und die Investoren. Das ist ein komplexes Konstrukt mit einem ausgeklügelten System von Check-and-Balance, bei dem keine Gruppe einseitig die Macht übernehmen kann.
Journalistisch startet die Republik nicht aus einer definierten weltanschaulichen oder politischen Position heraus und kommentiert die Welt aus dieser Perspektive. Sie führt auch keine Kampfrhetorik, positioniert sich nicht gegen etwas. Sie ist gutem, unabhängigem Journalismus verpflichtet und will, wie Nadja Schnetzler ausführte, eine offene Debattenkultur pflegen. Dafür braucht es eine pluralistisch zusammengesetzte Redaktion, die unterschiedliche Meinungen zulässt. Das sei, so Hanspeter Spörri, eine Voraussetzung dafür, dass eine Zeitung ihre Hauptaufgabe erfüllen könne, nämlich die Leserschaft ärgern, zum Widerspruch anregen.
Online aus der Krise?
Nachdem das Internet eher für den Niedergang des Journalismus steht, ist die Frage berechtigt, warum ausgerechnet ein Online Magazin einen Weg aus der Krise weisen soll. Die Republik will kein News-Portal werden. Vorgesehen sind nicht mehr als 1-3 längere und fundierte Beiträge pro Tag. Dabei will sie Themen über längere Zeit hinweg begleiten und bearbeiten. Die Republik wolle nicht den ersten Artikel zu einem Thema schreiben, sondern den fundiertesten, den abschliessenden, so Nadja Schnetzler. Gemäss Businessplan kann das neue Online Magazin bis CHF 60’000 in eine Geschichte investieren. Das sind für viele Journalisten paradiesische Zustände.
Die Frage aus dem Publikum, ob nicht nur die Redaktion, sondern auch die Leserschaft zur Entschleunigung und zu einem fundierteren Journalismus bereit sei, kann noch nicht beantwortet werden. Es gibt Produkte wie DIE ZEIT mit ihrem völlig aus der Zeit gefallenen Leintuchformat, digitale Produkte wie «Geschichte der Gegenwart» oder die 12-App des Tagesanzeigers, die jeden Tag 12 längere Geschichten aus unterschiedlichen Medien bereitstellt. Solche Produkte haben einen Markt und weisen darauf hin, dass es einen Bedarf für eine Alternative zum News-Kurzfutter gibt. Insgesamt wird heute ja nicht weniger gelesen als früher, aber die Einheiten wurden kürzer. Nadja Schnetzler gibt sich überzeugt, dass Lesegewohnheiten wieder verändert und neu entwickelt werden können.
Die Gesprächsrunde war sich einig, dass die Republik im linksliberal-urbanen Umfeld punkten und ein Publikum finden kann. Die grosse Frage und auch die grosse Herausforderung sieht sie darin, ob es dem neuen Magazin gelingen wird, die Grenzen dieses Milieus zu überschreiten und breiter Fuss zu fassen.