Erich Gmünder (Text und Fotos)
Im neuen Sujet des Ankerschuppels dreht sich alles um die Gurtkuh Rosalie. Wir haben dem Anker-Schuppel vor einem Jahr beim Schlussspurt einen Monat lang über die Schultern geguckt. Die ersten Vorbereitungen beginnen rund ein Jahr vorher.
Ueli Koller, der das Sujet entworfen hat, träumte schon lange davon, einmal eine Kuh beim Kalben zu zeigen. Im Leben eines jedes Bauernbuben, wie er einer war, ist die Geburt eines Kälbchens ein magischer Moment.
«Sennen und Kühe sind ja ein häufiges Motiv beim Chlausen, eine kalbende Kuh habe ich aber noch nie gesehen», erzählt der Mitbegründer des Ankerschuppels und weitherum bekanntes Mitglied des Jodlerclubs Teufen und der Säntisjodler. Und es musste ein «Gurt» sein. Gurtkühe sind der Stolz jedes Bauern. Die Braunviehkühe mit der weissen Fellfärbung, die sich wie ein Gürtel um den Bauch zieht, haben einen Ehrenplatz bei Alpaufzügen. Rosalie ist ein «Gurt».
Fast ein Jahr vorher – in den Skiferien – begann Ueli Koller mit der Umsetzung seiner Idee. Wie ein Filmer zeichnete der gelernte Zimmermann ein sogenanntes Storyboard, eine Bildergeschichte in sechs Szenen. Man sieht Rosalie im Frühling, wenn sie den Muni besucht, im Sommer mit anderen Kühen auf der Alp, im Herbst an der Viehschau, am Nikolaustag beim Chalben, und schliesslich zusammen mit dem Kälbchen – ebenfalls ein «Gurt» –, wenn die Silvesterchläuse auf den Hof kommen. Diese Vorlage benötigte der Schnitzer für seine Arbeit.
Während der Chüelischnitzer Hans Graf, pensionierter Pöstler aus Trogen, mit der Umsetzung der Figuren begann, machte sich Ueli Koller an das Entwerfen der Hauben und Hüte. Er zeichnete die Umrisse und erstellte Schablonen. Die braucht es für das Aussägen der Formen aus Sperrholz und Styropor, für das passgenaue Ausschneiden der bunten Samtstoffe und für die Löcher, wo die Chügeli angenäht werden.
Für eine einzige Haube braucht es bis zu 12’000 Chügeli – und doppelt so viele Löcher
Das Annähen ist die aufwendigste Arbeit: Da kommen nicht nur die Mitglieder des Schuppels zum Einsatz, sondern die ganze Familie, Freunde, Nachbarn. Deshalb muss bis zu den Sommerferien alles bereit sein, damit rechtzeitig mit dem «Chügele» begonnen werden kann. «Wir sitzen viele Abende zusammen, meistens vor dem Fernseher, meine Frau und ich, und chügelet», erzählt zum Beispiel Andi Höhener, ein Mitglied des Ankerschuppels.
Für eine einzige Haube – das sind die grossen Kopfbedeckungen der Rollewiiber – braucht es rund 10 –12‘000 der kleinen Kugeln. Und für jedes Stück braucht es zwei Stiche – man rechne …
Als gelernte «Handsgilehrerin» ist Ueli Kollers Frau Anita die Fachfrau für die Näherei. Auch ihr Vater Karl Manser, ein Innerrhoder, half mit: Er steuerte ein massstabgetreu nachgebautes Appenzeller Bauernhaus bei, mit klitzekleinen Schindeln und vielen weiteren typischen Details.
Advent ist es schliesslich, als die Hauben und Hüte zusammengebaut und mit den Stoffen dekoriert werden. Eine Haube wiegt an die 6 Kilo – früher, als man die leichteren Materialien nicht kannte, seien es noch ein paar Kilo mehr gewesen, erinnert sich Thomas Höhener.
Zwar ist jeder Chlaus selber verantwortlich, dass seine Haube oder sein Hut rechtzeitig fertig wird, aber alle helfen sich gegenseitig, und an vielen Abenden und Wochenenden wird im Büdeli gemeinsam gearbeitet. Dazwischen wird immer wieder «zäuerlet»: Auch die Töne müssen schliesslich zusammenpassen.
Die Kunstwerke werden elektrifiziert, damit sie frühmorgens und bis spät in die Nacht hinein beleuchtet und bestaunt werden können, und jedes wird der Kopfform seines Trägers angepasst, damit es gut sitzt.
Bis ganz am Schluss bleibt es ein bestens gehütetes Geheimnis, welches Sujet ein Schuppel gewählt hat. Die Vorhänge im Büdeli bleiben Tag und Nacht gezogen, nur der Fotograf der Tüüfner Poscht erhält Zutritt. Die Spannung steigt, je näher der Silvester kommt, und mit ihr steigt die Vorfreude. Der riesige Aufwand, die ungezählten Stunden Arbeit sind dann vergessen.
So wie am Silvestermorgen kurz vor sechs Uhr, als der Schuppel sich nach ausgiebigem Frühstück bei Häsi Zellweger gegenseitig beim Anziehen hilft. Draussen warten bereits ein paar Zaungäste, welche als erste einen Blick auf das neue Sujet werfen wollen.
«Das ist das Schönste an diesem Brauch: An diesem Tag machen wir eigentlich allen nur Freude», sagt Andi Höhener, bevor er unter einer Haube verschwindet.
Anker-Schuppel of em Strech (Video 8min Youtube)
[nggallery id=281]