«Der Tod gilt als Skandal»

05.03.2021 | Timo Züst
Stefan_Staub
Diakon Stefan Staub befindet sich in Quarantäne. Das Foto stammt aus dem Archiv. Als Diakon der Katholischen Kirchgemeinde Teufen Bühler Stein erlebt Stefan Staub die Corona-Pandemie intensiv. Angehörige der Kirchgemeinde suchen in diesen unsicheren Zeiten besonders oft seelischen Beistand. Jetzt muss aber auch der Diakon kurz auf Pause drücken: Er wurde positiv getestet und befindet sich in Quarantäne. Die TP hat ihn via «Zoom» erreicht und mit ihm über Einsamkeit, Angst, den Tod und mögliche Botschaften der Pandemie gesprochen. Lieber Stefan, wie geht es dir? Gut soweit. Ich habe bisher keine Symptome. Deine Quarantäne wird noch rund eine Woche dauern. Du verbringst sie allein im Pfarrhaus. Hast du dir dafür etwas vorgenommen? Nun, ich muss auf meinen Körper hören. Aber so lange ich mich gesund fühle, will ich schon das eine oder andere erledigen. Das betrifft die Arbeit – Vorbereitungen, Schreibarbeiten, Zoom-Sitzung – aber auch den Privatbereich. Ich habe mir vorgenommen, diese Zeit auch bewusst als eine Pause wahrzunehmen und für mich zu nutzen. Hast du ein gutes Buch oder soll ich eins vorbeibringen? Nein, alles gut (lacht). Ich habe mir schon einige herausgesucht. Eigentlich habe ich mich bei dir nicht wegen der Quarantäne, sondern wegen deines «Wort zum Sonntag» vom 12. Februar im «Tagblatt» gemeldet (siehe Kasten). Darin schreibst du, wir sollen die Angst nicht gewinnen lassen. Hast du seit der Covid-Diagnose Angst empfunden? Nein. Angst war für mich bisher nie ein Gefühl, das ich mit Corona verbunden habe. Ich hatte mich kurz gesorgt, das Virus an meine Kinder weitergegeben zu haben. Das war aber glücklicherweise nicht der Fall. Ansonsten empfinde ich keine Angst. Für mich sind solche schwierigen Lebenssituationen auch immer eine Chance, etwas über mich zu lernen und gestärkt aus ihnen herauszugehen.

Wort zum Sonntag

Ein Nein zur Angst, ein Ja zur Gelassenheit «Beseitigt 99,9% der Viren!» Ich bin erstaunt, mein Putzmittel verspricht seit anfangs Woche auch nützlich zu sein gegen Viren aller Art! Die Industriezweige sind alles andere als dumm, wenn sie mit dubiosen Versprechen die Ängste – oder auch die Dummheit der verunsicherten Menschen bedienen und die Gunst der Stunde nutzen, um ihre eigenen Kassen aufzubessern. Mich erstaunt es nicht, wenn die Werbung einschlägt und der Absatz meines vertrauten Putzmittels durch die Decke bricht. Ich frage mich deshalb selbst: wie steht es eigentlich um meinen gesunden Menschenverstand? Corona steht uns zwar allen bis zum Hals und doch können wir uns dem medialen Hype kaum entziehen. Die Omnipräsenz von Fallzahlen, R-Wert, Impfung und Virusmutationen macht etwas mit uns allen, ob wir wollen oder nicht. Die Flut der Informationen hat sich an unseren Urängsten quasi festgebissen. Wer von uns klickt nicht auf Meldungen, die von «aggressiven Mutationsvarianten» berichten? Was wir lesen, treibt die Spirale der Verängstigung nur noch mehr an. Mir kommt es vor, als ob die Menschen in einem kollektiven Angstzustand verharren und sehnlichst auf die Erlösung hoffen, die «Durchimpfung» heisst und uns zur Normalität zurückführen soll. Ob es dann besser wird? Oder uns erst regelmässiges Impfen die Normalität zurückschenkt? Verzeihen Sie mir, aber ich habe diese eindimensionale Debatte gestrichen satt. Niemand stellt sich die Frage, ob die virale Bedrohung vielleicht in einem kausalen Zusammenhang mit unserem Verhalten gegenüber Natur und Schöpfung stehen könnte? Was ist denn Normalität? Wir jetten für 500 Franken rund um den Globus und freuen uns über Rindsfillet aus Uruguay, das günstiger zu haben ist, als ein Paar Cervelat aus der Region. Diese Normalität kann nicht normal sein und ich will sie eigentlich auch nicht mehr zurück. Darum sehe ich nicht nur eine Bedrohung in der aktuellen Lage, sondern auch ein «Time out», das unser rasantes Tempo unfreiwillig unterbrochen hat. Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Massnahmen der Behörden zu kritisieren, liegt mir fern. Schliesslich muss ich keine Entscheidungen treffen. Aber was ich kann, ist «Nein» zu sagen gegenüber Ängsten in uns, die seit 11 Monaten viele von uns lähmen und «Ja» zu sagen zu mehr Gelassenheit und gesundem Menschenverstand. Dabei meine ich nicht die berechtigten Existenzängste vieler Kleinunternehmen, sondern die diffusen Lebensängste vieler Menschen, die unser gesundes Bauchgefühl vergiftet haben. Wer vertrauen kann, dass der Mensch nicht losgelöst von der Schöpfung lebt, sondern ein Teil von ihr ist, muss sich von keiner Angst dirigieren lassen. Als Christen erst recht nicht, da uns die Zusage gilt, dass wir nie tiefer fallen kann, als in die Hände Gottes, dem Erfinder des Lebens – was immer auch passieren mag. Deshalb soll uns der bevorstehende Valentinstag ein «Danke» wert sein für das Leben überhaupt und die bergende Liebe meiner Nächsten– gerade in diesen Zeiten. Stefan Staub, Diakon & Pfarreileiter Kath. Pfarrei Teufen-Bühler-Stein
Und in Quarantäne zu sein, deine Seelsorge-Tätigkeiten nicht ausüben zu können, fällt dir das nicht schwer? Natürlich, sehr sogar. Ich bin ein Mensch mit einem leicht überzeichneten Verantwortungsgefühl. Das heisst, ich fühle mich oft zu schnell schuldig. Auch wenn ich eigentlich weiss, dass ich nichts zur Situation oder zum Leid einer Person beigetragen habe. Ich nehme an, du kannst auch nicht gut «Nein» sagen. Darin bin ich ganz schlecht (lacht). Deshalb tut mir diese Zeit vielleicht ganz gut. Ich bin jetzt gezwungen, einmal einfach nicht da zu sein – ob ich will oder nicht. Da sein. Das ist eine deiner Kernaufgaben. Ist deine Betreuung während der Pandemie mehr gefragt? Auf jeden Fall. Ein kurzes Beispiel: Vor rund zwei Wochen brannte bei mir im Pfarrhaus am Samstagmorgen um 6:30 Uhr bereits Licht. Da klopfte es plötzlich an er Tür. Es war ein Mann, der einfach nicht mehr weiterwusste. In seinem Kopf drehe sich alles, er sei am Ende. Was machst du in so einem Fall? Nun, grundsätzlich war das eine aussergewöhnliche Situation für mich, die hoffentlich nicht Alltag wird. Aber ich habe ihn dann zum Kaffee reingebeten und wir haben uns eine gute halbe Stunde unterhalten. Das heisst: Eigentlich habe ich hauptsächlich zugehört. Was hast du ihm geraten? Für mich war klar: Er ist nicht psychisch krank bzw. braucht dringend psychologische oder psychiatrische Hilfe. Er hat sich einfach gefangen gefühlt in den ewig wiederkehrenden belastenden Gesprächen mit den gleichen Personen und brauchte einen Impuls von aussen, ein anderer Mensch, der zuhört und mit ihm redet. Ich sagte ihm zum Abschied, er solle sich nächste Woche melden, wenn er noch einmal reden will. Seither habe ich aber nichts mehr von ihm gehört. Das klingt nach Einsamkeit. Betrifft das auch andere in deiner Kirchgemeinde? Eine gewisse Einsamkeit ist sicher dabei. Aber ich vermute, viele belastet hauptsächlich das permanente Thema Corona. Es ist überall: in den Medien, in allen Gesprächen. Und es sind immer nur «Bad news». Das wirft existenzielle Fragen auf, mit denen sich die Menschen sonst, wenn das Leben in voller Geschwindigkeit läuft, nicht oder weniger beschäftigen. Das betrifft Sinn- und Glaubensfragen und grundsätzlich alle spirituellen Aspekte des Lebens. Wie steht es um die Angst? Habe sie Angst vor dem Virus? Angst vor den Folgen der Massnahmen? Angst vor Einsamkeit? Generelle Existenzängste? Angst ist ein grosses Thema. Aber sie ist völlig diffus, es gibt keine generelle, zielgerichtete Angst. Die Omnipräsenz der schlechten Nachrichten und das Fehlen einer echten Perspektive scheint die Menschen zu erdrücken. Die Medienberichterstattungen nehmen einem ja jede Hoffnung sofort wieder. Sobald die Impfung da ist, wird ihre Wirksamkeit hinterfragt. Wie lange hält sie? Wie gut immunisiert sie überhaupt? Wie viele Jahre bis zur «Durchimpfung»? Und wenn die Zahlen sinken, tauchen gleichzeitig neue Mutationen auf. Und ein Ausweichen ist schwierig. Die grossen Medien berichten ziemlich einheitlich. Ja, es ist überall das Gleiche. Abgesehen von den alternativen Medien, die dann aber teilweise ins andere Extrem abdriften. Auch ich muss sagen: Davon habe ich langsam genug. Ich wünschte mir, wir würden endlich aufhören über Zahlen, Statistiken und Todesfälle ohne Einordnung im Live-Ticker zu berichten und stattdessen anfangen, unsere Wahrnehmung und Beziehung zu diesem Virus bzw. zur Bedrohung unseres Lebens zu diskutieren.
Das Gespräch fand über „Zoom“ statt. Foto: Screenshot Hat sich unser Fokus vom Leben auf den Tod verschoben? Massiv. Oder anders gesagt: Der Tod wird nicht mehr als Teil unseres Daseins akzeptiert. Versteh mich nicht falsch: Ich will das Leid, das Corona verursacht, in keiner Weise schmälern. Noch will ich sagen, dass die Todesfälle keine Tragödie wären. Was ich meine, ist, dass der Tod heute in jedem Fall ein Skandal ist. Egal, wie jemand gelebt hat. Wie und nicht wie lange? Ich musste vor Kurzem einen jüngeren Menschen beerdigen. Das ist immer eine traurige und schwierige Aufgabe. Ich habe der Trauergemeinschaft dann unter anderem den Gedanken mit auf den Weg gegeben, dass nicht die Anzahl Lebensjahre, sondern deren Qualität das Wichtigste sei. Und davon bin ich überzeugt. Aber laut dem neusten epidemiologischen Bericht des Bundesamts für Statistik liegt das Durchschnittsalter der mit oder an Corona Verstorbenen in der zweiten Welle bei 86 Jahren (1. Welle 84 Jahre). Die meisten haben also viele Lebensjahre erlebt. Und hoffentlich auch sehr erfüllte! Genau das meine ich: Der Tod ist heute immer ein Skandal. Mein Vater ist 93 Jahre alt und will sich nicht mehr impfen lassen, weil er sich für den Tod bereit fühlt, wenn er denn kommen sollte. Natürlich gilt das nicht für alle und viele sind wegen Corona früher verstorben … … aber unser Umgang damit zeigt auch auf, wie wir das Leben wahrnehmen. Wir glauben, es währt ewig. Ich bin weder Philosoph noch Soziologe und natürlich bin ich durch meinen Glauben geprägt. Aber ich vermute schon, dass das etwas mit unserer veränderten Lebensweise zu tun hat. Auch ich will nicht zurück zu der Zeit, als es nur Himmel für die Guten und Hölle für die Bösen gab. Aber vielleicht haben wir das Kind auch etwas mit dem Bade ausgeschüttet. Heute glauben immer weniger an ein Leben nach dem Tod und deshalb müssen wir während unsere Zeit hier so intensiv wie möglich leben – und so lange wie möglich. Und wenn es nur das irdische Leben gibt, dann müssen ja wir auch die Götter sein, oder? Sozusagen (lacht). Die Götter in Weiss. Die Menschen ersetzen das geheimnisvolle Etwas durch eine andere Macht, an die sie glauben können – zum Beispiel die Wissenschaft. Aber damit machen wir uns etwas vor. Denn auch wenn wir heute viel länger und viel besser leben; wir sind nach wie vor unglaublich fragil. Und wir alle sterben irgendwann. Die Pandemie erschüttert jetzt diesen Glauben? Auf eine gewisse Art, ja. Wir sind mit der Realität konfrontiert, dass wir nicht alles kontrollieren können, dass es eben doch keine absoluten Sicherheiten gibt, dass das Leben endlich ist. Deshalb klammern wir uns wohl auch so sehr an die Idee, dass wir das alles in den Griff bekommen: Mit der Impfung, den Restriktionen etc. In deinem «Wort zum Sonntag» sagst du auch etwas über eine mögliche Botschaft der Pandemie. Welche ist das aus deiner Sicht? Das ist wohl in etwa das, was wir gerade diskutiert haben. Und insbesondere natürlich auch die Tatsache, dass wir nicht ewig so weiterleben wollen. Man hört derzeit oft den Ausdruck «Zurück zur Normalität». Aber welche Normalität ist das denn? Die, in der ein Steak aus Uruguay im Coop weniger kostet als der Cervelat beim Dorfmetzger? Wollen wir dahin wirklich zurück? Spannend an der Pandemie ist auch: Plötzlich leben wir in einer Art Technokratie. Das wichtigste Führungsinstrument des Bundesrates sind die Daten der Wissenschaftler. Wieso hören wir in anderen Bereichen – zum Beispiel der Klimaerwärmung – nicht auf die Wissenschaftler? Ich vermute, die Klimaerwärmung und die vielen Folgen der globalisierten Industrialisierung tun uns schlicht zu wenig weh. Anders gesagt: Corona kann dich persönlich treffen, verletzen, vielleicht sogar töten. Die Klimaerwärmung nicht. Genau. Diese Bedrohung ist vermutlich nicht konkret genug. Und die Medien spielen sicher auch eine grosse Rolle. Die Art der Berichterstattung wie über Corona haben wir so noch nicht erlebt. Das hat einen grossen Einfluss auf die Wahrnehmung der Menschen. Also müssten die Medien vielleicht auch über die anderen Probleme so intensiv berichten? Du bist der Medienmensch, ich frage dich (lacht). Aber vielleicht würde das etwas ändern, ja. Wir befinden uns in der Fastenzeit. Eine Zeit des Verzichts, der Selbstreflektion. Vielleicht müssten wir die Pandemie als eine Art lange Fastenzeit wahrnehmen, um damit besser umgehen zu können. Aus meiner Sicht gehört es sogar zum Leben, dass man ab und zu einen Weg durch die Wüste gehen muss. Man kann diese Pandemie durchaus als ein solche Brach-Zeit verstehen. Sie fordert uns, aber gibt uns auch die Chance, die Augen zu öffnen. Bei mir hat sie auf jeden Fall etwas bewirkt. Ich habe viel nachgedacht. Zum Beispiel über meine Reisegewohnheiten. Mensch, ich flog einmal für 19 Franken nach Neapel. Im vergangenen Jahr habe ich meine Umgebung auf eine ganz neue Art wahrgenommen und erlebt – der Erholungsfaktor der Ferien hier in der Schweiz war so mindestens gleich gross. In diesem Gespräch haben wir die übliche Corona-Gesprächsebene verlassen und uns über die menschlichen Herausforderungen unterhalten. Bräuchte es das nicht noch mehr? Kann die Kirche das evt. fördern? Natürlich spreche ich solche Themen an. Und wenn ich etwas schreibe – wie das «Wort zum Sonntag» – mache ich das auch immer bewusst und mit einer Botschaft. Wenn ich damit jemanden zum Nachdenken anregen kann, freut mich das. Aber wir sind ein kleiner Fisch in dieser globalisierten, vernetzten Welt. Es bräuchte wohl also noch viel mehr Inputs auf vielen anderen Ebenen.  tiz

Top-Artikel

Top-Artikel

Anzeige

Anzeige

Lindensaal-Animation2024

Nächste Veranstaltungen

Samstag, 12.10.2024

Kantonale Schafschau

Montag, 14.10.2024

Pilzkontrolle

Aktuelles

×
× Event Bild

×
×

Durchsuchen Sie unsere 7394 Artikel

Wetterprognose Gemeinde Teufen

HEUTE

12.10.24 13:0012.10.24 14:0012.10.24 15:0012.10.24 16:0012.10.24 17:00
13.5°C13.3°C12.8°C11.9°C11.1°C
WettericonWettericonWettericonWettericonWettericon

MORGEN

13.10.24 05:0013.10.24 09:0013.10.24 12:0013.10.24 15:0013.10.24 20:00
11.3°C11.8°C12.6°C12.7°C8.7°C
WettericonWettericonWettericonWettericonWettericon