Timo Züst
Es ist eine neue Erfahrung für den Kurator des Grubenmann-Museums: Seit dem Sommer begleitet Ueli Vogt Architektur-Studenten der FHS St.Gallen – ein ganzes Semester lang. Sie analysieren die Innenräume einiger Grubenmann-Kirchen. Ein Besuch zeigt: Noch gibt es einiges zu tun.
«Vielleicht reicht es, wenn ihr die Sitzbänke nur als Struktur andeutet. Dann müsstet ihr nicht alle nachbauen.» Ueli Vogt beugt sich gerade über ein fast zwei Meter grosses Modell aus Polystyrol. Es steht zwischen den Pulten in der «ArchitekturWerkstatt» der FHS St. Gallen. Der Studierende antwortet: «Ja, das könnte Sinn machen.» Das Modell zeigt den Innenraum von einer der 14 Grubenmann-Kirchen, die von 28 Architektur-Studierenden des dritten Semesters nachgebaut werden. Unter der Leitung von Ueli Vogt.
Eine Ergänzung für das Museum
Die ArchitekturWerkstatt startete im Herbst 2017 mit der Bachelor-Ausbildung in Architektur unter der Leitung von Anna Jessen. Ueli Vogt war von Beginn an als Lehrbeauftragter für Materialkunde dabei. Seit dem Sommer arbeitet der Kurator des Teufner Grubenmann-Museums auch in der Analyse. Die Studierenden lernen mit unterschiedlichen Methoden und Werkzeugen, Bauten zu untersuchen und zu dokumentieren. Für Ueli Vogt ergänzen sich die Aufgaben an FHS und im Museum: «Der Innenraum der Grubenmann-Bauten wurde – anders als die Brücken und Dachstühle – bisher noch nie richtig erforscht. Damit haben wir nun begonnen.» Die Aufgabe der Studierenden ist es, einen Analyseplan zu erstellen. Dazu gehört nicht nur der Bau eines Modells. Sie dokumentieren auch diverse andere Kriterien wie Raumaufteilung, Licht, Nutzung, Volumen etc. «Diese Informationen wurde so noch nie erfasst.» Aber nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Innenraum ist ein Novum für Ueli Vogt: Er begleitet zum ersten Mal Studierenden über das ganze Semester
Grubenmann-Kompetenz
Die Anfrage der ArchitekturWerkstatt dazu kam überraschend. Zwar hat Vogt hier schon seit Beginn des Studiengangs vor drei Jahren ein Mandat inne. Dabei handelt es sich aber nur um einen knapp zweitägigen Kurs zum Thema Materialien und Ressourcen. «Das ist etwas ganz anderes. Und ich muss sagen: Vor ein paar Jahren hätte ich wohl noch Nein gesagt.» Mittlerweile habe er sich aber eine «stabile Kompetenz» im Bereich Grubenmann aufgebaut. Die Arbeit mit den Studierenden war dennoch Neuland für ihn: «Das hat mich ganz schön gefordert. Auch, weil wir ja etwas ganz Neues ausprobieren.» Die Analyse der Kirchen-Innenräume nehmen die angehenden Architektinnen und Architekten sehr selbständig vor. «Ich möchte, dass die Studierenden lernen zu definieren, welche Aspekte wichtig sind. welche Aspekte wichtig sind», so Vogt. Diese Ausgangslage macht die Bewertung der Arbeiten sehr anspruchsvoll. «Und natürlich will ich fair sein. Schliesslich sind diese Noten sehr wichtig für die Studierenden.» Mittlerweile sind die Projekte weit fortgeschritten. Im Januar findet die Schlusskritik im Zeughaus statt. Davon profitiert auch das Grubenmann-Museum.
Von Museum ausgeliehen
Ueli Vogt ist ein Angestellter des Grubenmann-Museums – mit einem 80 Prozent-Pensum. Seine zusätzliche Rolle an der ArchitekturWerkstatt ist für das Museum nur von Vorteil. «Diese Modelle werden jene der Dachstöcke von den ETH-Studierenden wunderbar ergänzen.» Der zeitliche Aufwand für die Aufgabe war zwar in den letzten Monaten beträchtlich, das Museum wird dafür aber entschädigt. Denn Ueli Vogt wird an die FHS St.Gallen «ausgeliehen». «Mir war sehr wichtig, dass wir so eine Lösung finden konnten. Sonst hätte das wohl nicht funktioniert.»
Ein Gebäude mit Bauch
Die ArchitekturWerkstatt der FHS St.Gallen befindet sich im zweiten Stock oberhalb der Hauptpost am Bahnhof St. Gallen. Während des Rundgangs wird schnell klar: Das ist keine rein theoretische Ausbildung. Überall stehen Modelle aus diversen Materialien: Holz, Polystyrol, Beton oder Gips. Auf dem Boden sind Abschnitte und Reste zu sehen, die mit einem Besen zusammengewischt werden. «Das Motto hier ist ‘Machen’. Die Studierenden sollen nicht nur Pläne zeichnen, sondern auch eine Verbindung zu den Gebäuden aufbauen», sagt Ueli Vogt. Seiner Ansicht nach genau der richtige Ansatz. Deshalb hat er die gängigen Begrifflichkeiten für sein Modul angepasst. Statt von Dachstock, Innenraum und Fundament sprich er von Kopf, Bauch und Fuss. Diese Begrifflichkeiten wurden den Studierenden bereits in ihrer Einführungswoche mit auf den Weg gegeben. «Da klingt zwar beinahe esoterisch, aber es funktioniert. So bekommt das Gebäude eine Persönlichkeit mit der sich die Studierenden auseinandersetzen müssen.» In den kommenden Wochen werden die Studierenden diesen «Personen» nun noch den letzten Schliff geben – und dann auf eine gute Note hoffen. Aber was ist eigentlich mit der Gretchenfrage: Gab es bereits wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Grubenmann-Innenräumen? «Die Kirchenräume der Grubenmänner sind vielschichtiger und komplexer als gedacht und mit diesem ersten Analyseschritt dürften ganz viele neue Fragen aufgeworfen werden.»