Am Vortag der Wanderung schneit es in Teufen den ganzen Tag. Wer Schnee zu räumen hatte, musste mehrmals am Tag die Schaufel in die Hand nehmen. Einige Mitglieder der Wandergruppe hegten Zweifel, ob die geplante Wanderung am Folgetag wirklich stattfinden wird. Doch die Wanderleiterin Mägi Koller studierte den Wetterbericht und war zurecht zuversichtlich.
Geschichtsträchtig
Mit dem Zug in St. Gallen St. Fiden angekommen, gelangen wir in wenigen Minuten über die Bahnbrücke zum Einstieg ins Galgentobel. Der Weg führt an den Schrebergärten, unterhalb des legendären Fussballstadions Espenmoos, vorbei. Hier hat der FC St. Gallen zwischen 1910 bis zur Saison 2007/2008 seine Heimspiele ausgetragen.
Wenige Meter weiter unten tritt die Steinach aus dem Untergrund der Stadt ans Tageslicht. Zuvor stürzte sie 350 Meter die Mülenenschlucht hinunter und wurde bei der Talstation der Mühleggbahn in den unterirdischen Kanal geleitet.
Wanderleiterin Mägi Koller erinnert daran, dass vor gut 1400 Jahren der Namensgeber und Stadtheilige von St. Gallen, Mönch Gallus (Schüler des irischen Missionars Columban von Luxeuil) vom Bodensee herkommend, durch eben dieses Steinachtobel aufgestiegen sei.
Der obere Teil des Steinachtobels wir auch Galgentobel genannt, nach dem «äbtischen Hochgerichtsgalgen», der seit dem frühen 17. Jahrhundert an der Stelle der heutigen evangelischen Kirche Heiligkreuz stand. Mit dieser, aus heutiger Sicht, barbarischen Vorstellung im Kopf wandern wir das beinahe verwunschen anmutendene Steinachtobel hinunter.
Seit 2012 ausgebaut
Bis vor 12 Jahren zeigte sich der Weg im Galgentobel als wenig gepflegter Trampelpfad. Zum 600-jähigen Gallusjubiläum wurde er von der Stadt für gut 500’000 Franken saniert. Seither ist das Galgentobel zum beliebten Naherholungsgebiet, nicht nur des Heiligkreuz-Quartiers, geworden.
Unser heutiger Wanderweg lässt zudem die Herzen von Bahnliebhabern höherschlagen. Über weite Strecken führt er den Bahngeleisen der Linie St. Gallen – Rorschach entlang. Doch zu Fuss unterwegs, sieht man so viel mehr, als in der Bahn sitzend. Wir überqueren die Bahnlinien auf Brücken und wandern unter oder neben Brückenbögen durch. Erstaunlicherweise begegnen wir heute nur wenigen fahrenden Eisenbahnzügen, obschon diese erst nach der Grenze durch Streiks lahmgelegt werden.
Jemand hingegen scheint aktiv zu arbeiten, hier an der Steinach entlang. Die Spuren des Bibers sind deutlich zu sehen.
Der Weg bis nach Mörschwil ist abwechslungsreich und interessant. Auch Bärlauch lässt sich bereits am Wegrand ernten. Vor der Anhöhe Schimishus machen wir einen kurzen Trinkhalt. Auf der anderen Seite des Tals sehen wir Hochhäuser von Kronbühl (Wittenbach).
Via Enggwil, an ersten Obstbäumen entlang, erreichen wir nach 6.5 Kilometern Mörschwil. Kurz zuvor haben wir das Steinachtobel und damit die Steinach Richtung Osten verlassen. Man hätte sehr gut der Steinach entlang weiterwandern können, um mit dem Fliessgewässer im Dorf Steinach den Bodensee zu erreichen. Heute hat Mägi Koller etwas anderes mit uns vor.
Kulinarisch verwöhnt
Leider zeigt sich die Sonne heute nur durch den Hochnebel gefiltert. Die Stimmung unter den 32 Teilnehmenden ist trotzdem ausgezeichnet. Diese wird während des Mittagessens im Ochsen, gleich gegenüber der Kirche, noch besser. Von der Familie Füger und ihrem Team, welche auch die angegliederte Bäckerei-Conditorei betreibt, werden wir nach Strich und Faden verwöhnt. Nach der herrlich gewürzten Suppe mit Stangensellerie gibt es Piccata Milanese, inkl. grosszügigem Nachschlag für alle die noch Hunger haben. Als Tagesüberraschung offeriert die Conditorei Füger allen Anwesenden ein besonders leckeres Schwarzwälder Tortenstück. Obschon bereits satt, können die meisten dieser süssen Verführung nicht widerstehen und geniessen jeden Bissen.
Vier Wanderfreunde beenden ihre heutige Wanderung in Mörschwil und begeben sich nun auf den Heimweg.
Wackelnde Hängebrücke
28 Personen nehmen die «lange Strecke» unter ihre Füsse. Diese führt ab Mörschwil ostwärts via Riedern unter der Autobahn hindurch. Um den Weg der Autobahn entlang abzukürzen, hat Mägi Koller einen schmalen Weg am Seitenhang des Riederntoblels gefunden. Trotzdem verbleibend rund 10 Minuten neben der rauschenden Autobahn. Diese genügen, um eine akustische Kostprobe zu bekommen. Was wir im eigenen Auto oder LKW heutzutage kaum noch wahrnehmen, zu Fuss jedoch umso mehr, ist der wahrlich ohrenbetäubende Strassenlärm, der von einer solchen mehrspurigen Autobahn ausgeht.
Viele zeigen sich froh, nun ins beinahe totenstill empfundene Riederntobel hinunterzuwandern. Dort fliesst fast parallel zur Steinach die Goldach Richtung Bodensee. Vor der Lochmüli wählen wir den Weg geradeaus und schon bald sehen wir ein weiteres Tages-Highlight vor unseren Augen; die im März 2023 eingeweihte Hängebrücke über die Goldach.
Mit einer Spannweite von 94 Metern ist es ein imposantes Bauwerk. Noch beeindruckender ist das Begehen der schaukelnden Brücke, v.a. wenn so viele Personen gleichzeitig darüber wackeln und einige gerne ausprobieren, ob man das «Seefahrer-Feeling», durch eigene Körperbewegungen, noch verstärken kann.
Die Gesichtsausdrücke der Wandernden scheinen von Lachen bis Bangen zu gehen. Auf jeden Fall ist es ein tolles Erlebnis. Am grossen Areal des Technoparks Blumenegg entlang unterqueren wir die Autobahnbrücke und erreichen nach gut 13 Kilometern den Bahnhof Goldach. Dort besteigen wir wenige Minuten später den Zug Richtung schneeweissem Appenzellerland und geniessen unsere warmen Stuben.