Blüte und Niedergang der Teufner Textilindustrie

13.08.2017 | TPoscht online
fabrik am goldibach, haus buechel 1925 (1b)
Die ehemalige Spinnerei in der Göbsi, 1925. Sammlung Holderegger, Teufen
Die Textilfabrikanten waren einst die wichtigsten Arbeitgeber der Gemeinde und gaben ihr das Gepräge. Thomas Fuchs* Es war ein Teufner, der die erste Fabrik im Appenzellerland eröffnete – allerdings nicht in seinem Geburts- und Bürgerort Teufen, sondern in Herisau. Dort übernahm Hans Ulrich Loppacher (1697–1759) um 1737 eine Getreidemühle und baute sie zu einer Stoffdruckerei um. Seine neue «Fabrique» habe «viele Haußhaltungen… aus der Armuth gezogen». An ihrer Stelle befindet sich heute das Industriedenkmal Schwarzes Haus. Neue Arbeitsform Fabrik Neu an den Fabriken ist die Arbeitsorganisation. Es sind Zweckbauten, in denen für eine begrenzte Zeit eine grössere Zahl von Personen zur Herstellung von Waren zusammenkommt. Die Produktion erfolgt konzentriert an einem Ort und ausserhalb der Wohnungen – im Unterschied zur früher üblichen Heimarbeit. Gearbeitet wurde zunächst vorwiegend von Hand. Man redet auch von Manufakturen. Zum Antrieb einfacher Maschinen (Farbmühlen, Stampfwerke) dienten Wasserräder. Die Ende 18. Jahrhundert einsetzende Mechanisierung bahnte der neuzeitlichen Fabrik den Weg. Fabriken wurden zum Symbol für die Industrialisierung im 19./20. Jahrhundert. Schon 1837 fanden die Begriffe «Der Fabrîkler», «die Fabrîkleri» Eingang in das älteste Appenzeller Lexikon. Dies, obwohl die Leute hier den Weg in die Fabrik möglichst vermieden und an der Heimarbeit festhielten. Die Fabriken beschränkten sich zunächst auf die Stoffveredelung. Mit der Mechanisierung erfassten sie nach 1785 die Spinnerei und Zwirnerei, später dann auch die anderen Zweige der Textilproduktion. Der Prozess der Mechanisierung und Automatisierung geht bis heute ungebrochen weiter. Fabrik in der Göbsi Als erste Fabrik in Teufen entstand 1813 in der Göbsi die mechanische Spinnerei von Landesseckelmeister Hans Jakob Zürcher (1763–1847). Die Antriebskraft für die Maschinen lieferte ein Wasserrad. Für das grosse Gebäude vis à vis des heutigen Schwimmbades wurde der Name «Fabrik» gebräuchlich. Es hat das für eine Spinnerei aus dieser Zeit typische Aussehen (mehrere Stockwerke, viele Fenster) bis heute bewahrt. Die Investition erfolgte eigentlich zu spät. Ab 1816 verschlechterte sich die Situation der Schweizer Spinnereien rasch. Der Konkurrenz des billigen Garnes aus England widerstanden nur Betriebe, die über grosse Wasserkraftreserven für den Antrieb und das notwendige Kapital zur ständigen Erneuerung des Maschinenparks verfügten. Beides fehlte im Appenzellerland. Von 1823 bis 1838 wurde in der Fabrik in der Göbsi Papier hergestellt. Danach erfolgte der Einbau von sechzehn «Jacquard-Maschinen» (mechanische Webstühle). Sie wurden ebenfalls durch das Wasserrad angetrieben. 1867 wurden sie durch Handstickmaschinen ersetzt. 1923 eröffnete dann Jakob Alder (1888–1976) eine Stoffdruckerei im Gebäude (vgl. Tüüfner Poscht 7/2013). Weberei am Fadenrain Eine Besonderheit bildete die «Weberfabrik» am Fadenrain von Mechaniker Johann Konrad Altherr (1797– 1877). Der Erfinder des Plattstichwebstuhls liess sie mit Unterstützung des St.Galler Handelshauses Vinassa erbauen. Etwa dreissig seiner neuen Handwebstühle wurden darin aufgestellt. Es ist das einzige Mal, dass Handwebstühle in Fabriken betrieben wurden. Gegen Ende der 1860er Jahre liess Viehhändler Johann Jakob Frehner dann Handstickmaschinen installieren. Mechanische Webereien Angesichts der dominierenden Handweberei hatten moderne Webfabriken in Appenzell Ausserrhoden einen eher schweren Stand. Eine der ersten war die schon erwähnte in der Göbsi. Im frühen 20. Jahrhundert wandte sich dann der äusserst erfolgreiche Plattstichwebfabrikant Johann Konrad Schläpfer-Biser (1855–1935) schrittweise der Mechanisierung zu. Er soll über etwa 400 Webstühle verfügt haben, die in einer grossen Zahl von Kellern bei Heimwebern aufgestellt waren.
Webautomaten in der Firma Schläpfer & Co. in der Ebni, 1965. Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden
1902 liess er an der Zeughausstrasse eine Fabrik erbauen, um die von Hand besorgte Vorbereitung der Webzettel maschinell vornehmen zu können. Der Maschinenpark umfasste fünf Schlicht-, fünf Zettel- und drei Spulmaschinen, die von Elektromotoren angetrieben wurden. Sieben Jahre später erwarb Schläpfer die Stickfabrik «J. U. Weiss & Sohn» in der Ebni und liess dort 48 mechanische Musselin-Webstühle installieren. Seine Weberei entwickelte sich rasch zur grössten Arbeitgeberin in Teufen. Ein 1917 erstellter Neubau war für 124 Webautomaten ausgelegt. Ab den 1920er-Jahren wurde die Produktpalette mit anspruchsvollen Fantasiegeweben für Taschentücher, Damenbekleidung und Gardinen erweitert. In den 1950/60er Jahren erfolgten erneut Erweiterungen, die Firma erstellte auch Mehrfamilienhäuser für die Angestellten. Da innerhalb der Familie keine Nachfolge gefunden werden konnte, verkaufte Rudolf Schläpfer-Baker (1927–2007) die «Wäbi» 1989 an die ASG Industrie Holding AG. Seine Zuversicht, dass der Betrieb im gleichen Sinne weitergeführt würde, wurde arg enttäuscht. 1993 wurde die noch rund 75 Mitarbeitende beschäftigende Firma aufgegeben. Stickfabriken am Eggli Fabriken mit den neuen Handstickmaschinen entstanden in Teufen ab 1867 mehrere. Bis 1880 stieg die Zahl der Handstickmaschinen in der Gemeinde auf 187 an, die zweithöchste im Kanton nach Herisau (274) und Speicher (234).  
Briefkopf der Mechanischen Stickerei Tobler & Sohn am Eggli, 1902. Den Briefkopf schmückt eine 1900 an der Pariser Weltausstellung errungene Goldmedaille. Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden
Aus der von Johannes Tobler-Grubenmann (1838– 1915) und seinem Schwager Johann Ulrich Zürcher-Tobler (1825–1907) erbauten Fabrik entwickelten sich am Egglirank zwei Stickerei-Imperien mit ortsbildprägenden Fabrikgebäuden (Hauptstrasse 39, 41, 49, 51) und Unternehmervillen. Beide überstanden die Stickereikrise der 1920er-Jahre. Die zuletzt auf Bettwäsche spezialisierte «Gebr. Tobler & Co.» musste 1974 aufgeben, die auf Babykleider und Kragen ausgerichtete «Oertle & Co.» (früher «Zürcher, Tobler & Oertle») 1981. Sie hatte in den 1960er- Jahren noch rund 130 Angestellte und mehr als 100 Heimarbeiterinnen beschäftigt. Tricoterie Knoepfel Der immer stärker aufkommende Maschenstoff (Trikot, Jersey) galt nach 1920 als Hoffnungsträger für die kriselnde Appenzeller Textilindustrie. Zahlreiche neue Firmen entstanden. Nach 1945 begünstigen die synthetischen Fasern den Aufschwung. Maschenware gehört zu den wichtigsten Materialien für die heutige Bekleidung (Unterwäsche, Sportkleider, Pullover etc.). Sie wird mit den Techniken des Strickens oder Wirkens hergestellt, ist dehnbar und knittert kaum. Pionier in dieser Branche im Appenzellerland war Jean Knoepfel-Zürcher in Teufen. Er eröffnete 1896 eine «Mechanische Tricotagen-Fabrik» mit einigen Strickmaschinen. Einem neuen Trend folgend stellte er Trikot-Unterwäsche her. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Firma durch ihre Sportpullover bekannt. *Der Historiker Thomas Fuchs ist Kurator des Museums Herisau und Leiter der Ortsgeschichtlichen Sammlung Teufen
Abfahrts-Olympiasieg im Knoepfel-Pullover durch Madeleine Berthod, 1956. Die Tricoterie Walter Knoepfel war in Turin offizielle Ausrüsterin der Schweizer Skinationalmannschaft. Foto: Gettyimages Bottmann
Mützenstrickerei Zubler im Hecht, 1976. Ortsgeschichtliche Sammlung Teufen

Sonderausstellung in Herisau

Unter dem Titel «Zwirnen, wirken, mercerisieren – Fabrikarbeit» widmet sich die aktuelle Sonderausstellung im Museum Herisau den heutigen und den früheren Textilfabriken im Appenzellerland. Es handelt sich um einen Teil des Projekts «iigfädlet» von 8 Ostschweizer Museen. Öffnungszeiten bis 29. Nov. 2017: Mi–So 13–17 Uhr. Öffentliche Führungen: So 10. September und So 19. November, je 10.45 Uhr.

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