Sepp Zurmühle
Am 11. November feiern die Teufnerinnen und Teufner 20 Jahre «kulturbar baradies». Das angekündigte Motto «Musik, Theater, Tanz, Genuss – für Gross und Klein» wird gelebt und gefeiert; ausgiebig, ausgelassen, aufmerksam, begeistert. Von 13.45 Uhr bis weit nach Mitternacht ist die Hechtremise Treffpunkt von Jung und Alt, quer Beet durch alle Bevölkerungsschichten, genau so wie es gewünscht war.
Ziel des Vorstands, unter Leitung von Lucia Andermatt – Präsidentin des Vereins kulturbar baradies an der Engelgasse – war es, eine Jubiläumsfest für die ganze Bevölkerung auf die Beine zu stellen. «Dies ist uns wirklich gelungen», erzählt die überglückliche Präsidentin nach Mitternacht, als auch der letzte Programmpunkt mit tosendem Applaus und stehender Ovation endet.
«baradisisches» Programm
«Ab dem ersten Musikstück des Trios «Tüüfner Gruess» – mit Vater Werner Nef und den Söhnen Nino am Hackbrett und Kilian am Bass – ist die Hechtremise sehr gut besucht und die Stimmung volkstümlich, festlich und gemütlich.
Nach 15 Uhr lauschen eine faszinierte Kinderschar und jung gebliebene Erwachsene dem Puppentheater von Katrin Bosshard. «Frederick», die etwas andere Maus, die scheinbar nichts tut, wenn die restlichen Mäuse fleissig sind. Doch es sind die von ihr gesammelten Sonnenstrahlen, die Wärme und Behaglichkeit in die kalten Wintertage bringen …
Um 16.45 Uhr geht es «verrückt crazy» weiter. Crazy Pony ist ein energiegeladenes Bluegrass und Folk Duett. Léa Rovero aus der Westschweiz und Frank Powlesland aus England versetzen das Publikum auf den Bänken in Rhythmus und Bewegung und kitzeln mit ihrem Power und ihrer einzigartigen Show die letzten eingeschlafenen Bewegungsmuskeln des Publikums.
Kulinarisch werden die Gäste bis spät abends von den Curry Queens und von Ahmet und seiner Frau verwöhnt und natürlich von der rund um die Uhr servicebreiten Crew der baradies-bar.
Und schon versetzt Zauberkünstler Marcini das Publikum mit Stil und Zauberei in Staunen und Faszination.
Magie in der Hechtremise
Ab 20.00 Uhr wird das Publikum von Zauberkünstler Marcini, alias Marcel Bischof aus Gais, unterhalten. Er brauchte nicht lange, um die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Nach einer Aufwärmübung, die nicht allen gleich gut gelang, liess er eine vom Publikum geliehene 20er-Note zuerst zu einer 50er-Note werden, danach aber gleich wieder verschwinden. Eine andere Note kam nach dem Zerreissen auch wieder im Originalzustand zu seinem Besitzer zurück.
Die «freiwillige » Zuschauerin musste noch etwas um ihren Ehering bangen, ehe er wieder auf dem Schuhbändel des Zauberers erschien. So erstaunte auch, wie ein Seil einmal ohne Ende und dann wieder mit mehreren Enden erschien. Mit Schaumstoffbällen brachte Marcini den Gemeindepräsidenten mit seiner Gattin zum Staunen. Die Bälle wechselten die Hände und die chinesische Reisschale, bis sie sich schliesslich auch noch vermehrten. Das Rätsel, wie sich eine Seite aus einem Buch in die Seite in einem bisher leeren Buch verschob, wird wohl vom Zuschauer nicht gelöst werden. So bleiben viele offene Fragen zurück, glücklich war wahrscheinlich jener Zuschauer, der zuletzt seine 20er-Note aus einem Luftballon befreien konnte.
Publikum im baradies
Es kommen immer wieder andere Besucherinnen und Besucher in die Hechtremise, was Lucia Andermatt und die baradies-Jubilare ausserordentlich freut. Die einen gehen, andere kommen und viele kommen später wieder oder gar mehrmals. Schliesslich läuft am heutigen Samstag sehr viel in Teufen. Das neue Sekundarschulhaus öffnet seine Tore, die Säumer aus Appenzell machen mit ihren Mullis und Eseln einen Kaffeehalt vor der Hechtremise und im Lindensaal spielen «Visch&Fogel» vor sehr gut gefüllten Rängen. Auch in der evangelischen Kirche herrscht am Abend reger Zulauf beim Konzert «Mozart meets Tango».
Im wahrsten Sinne herrschen baradisische Zustände in ganz Teufen an diesem Martinitag 2023 und grosse Teil der Bevölkerung haben heute ihre warmen Stuben verlassen. Unzählige Begegnungen finden in wechselnden Umgebungen und Erlebniswelten statt. So könnte man sich ein baradies vorstellen, oder? Allzumal zu alle Veranstaltungen in der Hechtremise die Eintritte frei sind, eine Kollekte jedoch sehr willkommen und mehr als angemessen ist.
baradisische Nacht
Gegen 21 Uhr geht es noch einmal so richtig rund. «Musig vo rondom» steht auf der Bühne. Das Publikum beginnt unaufgefordert, ausgelassen und in Scharen zu tanzen, die Feierstimmung erfüllt den Raum. Lea Läuchli, Flurin Rade, Matias Collantes und Diego Calasso spielen, wie es der Name andeutet «Musik aus der ganzen Welt», alles was ihnen und anderen gefällt. Mit Gesang, Gitarre, Akkordeon, Klarinette, Bass, Perkussion spielen sie Mestizo, Cumbia, Jazz, Karibik, Son, Gypsy, Improvisationen, Reggae und mehr… Und das kommt an. Das Publikum lässt sich auf Portugiesisch zusätzlich in Stimmung versetzen. Es tanzt, klatscht und singt was das Zeug hält. Es geht wirklich heiss zu und her in der heimeligen Hechtremise, obschon die Türe zur Winternacht offen steht.
Der Abend ist noch lange nicht zu Ende. Um 23 Uhr setzt sich der schwarz gekleidete Akkordeonist und Professor für Akkordeon aus Engelburg – Goran Kovačević – auf die Bühne und spielt sich und sein Instrument ein. In Teufen ist der musikalische Ausnahmekönner absolut kein Unbekannter.
Es wird darum gebeten, nun etwas leiser zu sein, zumindest am Anfang, meint Thomas Andermatt, der dezent durch den Abend führt. Kurz darauf bahnen sich drei Männer in der Appenzeller Festtagstracht – mit rotem Brusttuch, weissem Liibli und braunen Sonntagshosen – den Weg zwischen den Bänken in Richtung Bühne frei, nachdem sie zuvor ihre Instrumente eingerichtet hatten.
Was die vier Mannen anschliessend bieten, ist Musik vom Allerfeinsten. Benjamin Rempfler (Hackbrett), Josef Rempfler (Geige) und Walter Neff (Bassgeige) sind in der traditionellen Appenzeller Musik verwurzelt und bekannt als «Appenzeller Echo».
Unter dem Begriff «Appenzeller Balkan Stubete» spielen sie seit elf Jahren mit Goran Kovačević zusammen. «Ursprünglich war es ein Experiment. Seither sind wir auch menschlich zusammengewachsen und sind tiefe Freunde geworden», erklärt Kovačević am Ende der Aufführung.
Während einer Stunde ziehen sie das Publikum mit ihrem virtuosen Spiel regelrecht in ihren Bann. Das Publikum hängt ihnen an den Instrumenten, wenn sie einmal leise, einfühlsame, kaum hörbare Klangfolgen spielen und dann wieder ein explosives, musikalisches Feuerwerk zünden. Sie verbinden auf eine wundersame Weise traditionelle Volksmusik aus der Schweiz und dem Balkan sowie anderen Teilen Europas miteinander und erweitern diese mit eigenen Kompositionen.
Das Publikum dankt dieses grosse Geschenk mit Rhythmusklopfen, Klatschen, Bravorufen, frenetisch Applaudieren und am Schluss mit einer langen Standing Ovation. Die Hitze im Saal steigt bis zum schier Unerträglichen und doch ist die Nacht noch lange nicht zu Ende. Es darf noch weiter gefeiert werden, bis auch die Letzten müde genug sind ein Menschen und Welten verbindendes 20-Jahr-Jubiläum der baradisischen KulturArt mit einem tiefen «Engelschlaf» abzuschliessen.
Musig vo rondom
Balkan Stobete
Weitere Fotos von Silvia Droz