Von alters her schlagen die Glocken der Kirche von Teufen alle Viertelstunden. Nun sind sie in der Nacht zwischen 22 und sechs Uhr morgens auf stumm geschaltet – mindestens vorläufig. Auf Begehren von Anwohnern sowie des Hotels Anker hat der Gemeinderat einem halbjährigen Probebetrieb ohne nächtlichen Stundenschlag zugestimmt. Heute um 22 Uhr ist „Premiere“.
Erich Gmünder
Über 30 Anwohner haben sich in der Eingabe an die Gemeinde dafür ausgesprochen, dass die Glocken in der Nacht stumm bleiben, weil sie – oder ihre Gäste – sich im Schlaf gestört fühlen. Gäste: das können sowohl Familienangehörige wie private Besucher von Anwohnern sein, die sich an den nächtlichen Stundenschlag nicht (mehr) gewöhnt sind, aber auch Gäste des Hotels Anker.
Existenziell
Für Barbara Ehrbar-Sutter, welche das Hotel mit zehn Zimmern vor drei Jahren aufwendig restauriert und liebevoll eingerichtet hat, sind die Glocken vom rund 30 Meter entfernen Kirchturm ein existenzielles Problem geworden. „Alle Gäste loben uns für die Ausstattung der Zimmer und den Service, doch viele verlassen uns nach einer Nacht wieder, weil sie kein Auge zugemacht haben.“
Das betreffe vor allem Menschen, die mehrere Tage oder gar Wochen am Stück gebucht hätten, zum Beispiel Patienten der Paracelsus Klinik, die einen ansehnlichen Teil der Belegung ausmachten. Diese reagierten vielleicht noch sensibler auf die ungewohnte Nachtruhestörung.
Auch technische Massnahmen geprüft
Das Problem betreffe aber alle – auch gesunde – Gäste. Vor allem bei sommerlicher Hitze – die Zimmer verfügen hierzulande nicht über Klimatisierung – , wenn sie gerne das Fenster offen lassen würden, sei der ungewohnte Schall vom Kirchturm für viele unerträglich, und sie würden in Zukunft das gastliche Haus am Dorfplatz meiden. So stagniere die Belegung nach anfänglichem Anstieg seit einiger Zeit. Die jetzige Auslastung sei jedoch noch ungenügend für eine langfristige Betreibung des Hotel Restaurants, sagt Barbara Ehrbar-Sutter.
Auch technische Massnahmen wurden geprüft. Das Hotel verfügt über dreifachverglaste Schallschutzfenster, welche verstärkt wurden: Erfolg gleich Null, da laut Fachleuten der Lärm bei der Holzbauweise quasi durch die Ritzen dringt.
Gemeinde winkte zuerst ab
Bereits im vergangenen Jahr startete Barbara Ehrbar-Sutter aufgrund der negativen Erfahrungen einen Anlauf und bat den Gemeinderat, den nächtlichen Glockenschlag abzustellen. Erfolglos. Die Behörde berief sich auf die Tradition, und bezog sich dabei auf entsprechende Bundesgerichtsurteile, welche das öffentliche Interesse an der jahrhundertealten Tradition höher gewichten als die Ruhebedürfnisse einzelner Bewohner. Die Gemeinde liess auch db-Messungen vornehmen, welche die Grenzwerte teilweise überschritten. Von diesen Resultaten liessen sich die Behörden abe nicht umstimmen. Das Gesuch sei in der Öffentlichkeit zuwenig breit abgestützt.
Auch Anwohner betroffen
Barbara Ehrbar-Sutter liess nicht locker und begann im Dorf Unterschriften zu sammeln. „Alle mir bekannten Dorfbewohner haben mitgemacht und waren sogar froh, dass endlich jemand etwas unternahm“, erzählt sie am Stammtisch im Hotel Anker mit Blick auf den Kirchturm. Sie sammelte eine ganze Liste von Beispielen, wie Dorfbewohner oder deren Familienangehörige sich im Schlaf gestört fühlen oder gar mit gesundheitlichen Beschwerden kämpfen. Gestützt auf darauf wurde am 1. Oktober 2015 bei der Gemeinde ein „Wiedererwägungsgesuch“ eingereicht und dabei auf die Dringlichkeit des Anliegens hingewiesen.
„Bei Bedarf ist der Gemeinderat auch herzlich zu einer Übernachtung im Anker eingeladen, damit er sich persönlich von der nächtlichen Störung überzeugen kann“, schrieb die Inhaberin des Hotels Ankers. Davon habe jedoch bisher kein Behördenmitglied Gebrauch gemacht, erzählt Barbara Ehrbar-Sutter schmunzelnd.
Gemeinde lenkt ein
Im zweiten Anlauf hat der Gemeinderat nun also dem Gesuch stattgegeben – allerdings vorerst nur probehalber befristet auf ein halbes Jahr. Mit eine Rolle gespielt habe auch, dass die Glocken der katholischen Kirche in der Nacht abgestellt sind – eine Art von Gleichberechtigung der beiden Kirchen, sagt Gemeindeschreiber Roger Böni. Nun wolle man die Reaktionen aus der Bevölkerung abwarten. Sollte es gegen die Abstellung Widerstand geben, müsse man sich an einen Tisch setzen.
Heute Nacht „Premiere“
Während die katholische Kirche die Abstellung in Eigenregie veranlassen konnte, entscheidet bei der evangelischen Kirche die Gemeinde als Besitzerin der Liegenschaft über die „Läutordnung“, weshalb ein Gemeinderatsbeschluss erforderlich ist.
Für die Umsetzung ist Werner Wieser, der Mesmer der evangelischen Kirche, zuständig. Heute Montag, 2. November hat er den von der Herstellerfirma programmierten Chip eingesetzt: Wenn alles klappt, ertönt um 22 Uhr der letzte Stundenschlag, danach bleibt es bis um 6 Uhr morgens still. Am Wochenende sowie an Feiertagen fällt auch das Morgengeläute um sechs Uhr weg.