Erich Gmünder
Am 31. Dezember (oder, wenn Silvester wie 2017 auf einen Sonntag fällt, am 30. Dezember) gehört der Dorfplatz von Teufen den Silvesterchläusen und der Bevölkerung. Autos und Appenzeller Bahnen bleiben ausgesperrt. Man beobachtet das Treiben der Kläuse, wünscht sich ein gutes neues Jahr und freut sich, altbekannte Gesichter wieder zu sehen.
Das war aber nicht immer so. 1969 gab es in Teufen sage und schreibe noch einen einzigen Silvesterchlaus – und der kam erst noch von auswärts.
Der ehemalige Regierungsrat und Landammann ist im Gasthaus Anker aufgewachsen und weiss aus den Erzählungen seiner Grossmutter und von älteren Teufnern, wie rege das Silvestertreiben noch in den 30er-Jahren oder gar vor dem 1. Weltkrieg war. Oft mussten Bauern- und Hilfsabeiterfamilien mit sehr wenig Geld auskommen, und da seien 70 bis 80 Kläuse unterwegs gewesen, sogenannte Bettelkläuse, die sich so für ihre Familie einen Zustupf verdienten.
Dem Wohlstand zum Opfer gefallen
Mit steigendem Wohlstand ging dieser Brauch allmählich vergessen. In den 50er-Jahren seien nur noch einzelne Chläuse unterwegs gewesen; und oftmals, in einem diskreten Abstand hinten drein, die Ehefrau, um das Geld einzusammeln, das ihr Mann einnahm, erinnert sich Hans Höhener an seine Bubenjahre. In den 60er-Jahren seien im Anker noch zwei Schuppel eingekehrt, je einer aus Hundwil und aus Stein.
Der letzte Chlaus 1969 kam von auswärts!
1969 erlebte er den letzten Chlaus: Jakob Solenthaler aus Bühler, der als «Rollewiib» ganz alleine unterwegs war. Da war Hans Höhener 22, und er und ein paar gleichaltrige Kollegen, mehrheitlich aus dem Turnverein, beschlossen eines Tages, den Brauch wieder zu beleben. Schon im Jahr drauf, Silvester 1970, war der erste Teufner Schuppel unterwegs. Seine Mitglieder hiessen: Häsi Zellweger, Werner und Hansruedi Preisig, James Koller, Peter Eggenberger (damals Lehrer in Teufen) sowie Hans Höhener.
Man traf sich im Bauernhaus der Eltern von Häsi Zellweger an der Speicherstrasse neben dem Gemsli. Die «Groscht» samt Schellen und Rollen der «schönen» Chläuse wurden von einem Schuppel aus dem Hinterland zugemietet oder selber zugeschneidert. Die ungewohnte schwere Last habe ihnen am Anfang schwer zu schaffen gemacht; das Auspolstern ging vergessen.
«Wir mussten Lehrgeld zahlen; unsere Arme und Hände waren wegen der Druckstellen wie gelähmt, und als wir am Mittag in der Ilge einkehrten, konnten wir kaum noch die Gabel halten.»
Trotzdem, der Virus hatte sie gepackt – und griff um sich! Schon am nächsten Silvester teilte sich ihr Schuppel auf in «wüeschti» und «schöni» Chläuse. Aus einem Schuppel wurden zwei und dann immer mehr. Bald tauchten auch Buebeschuppel auf. Schliesslich, Ende der 70er-Jahre – Hans Höhener war mittlerweile Redaktionsleiter der Appenzeller Ausgabe des Tagblatts in Teufen geworden -, kamen er und seine Kollegen auf die Idee, sich jeweils gegen Mittag auf dem Dorfplatz zu treffen. Anfangs waren es wenige Dutzend Besucher, die sich um die paar Schuppel scharten. «Es ist schon ein besonderes Gefühl, heute am Silvesterchlausen dabei zu sein und zu sehen, welche Dimensionen der Anlass angenommen hat. Das hätten wir uns in den wildesten Träumen nicht vorzustellen gewagt.»
Verbot abgeschafft
Der Brauch hat Hans Höhener durch all die Jahre begleitet. Wie er als 23-Jähriger in den Gemeinderat gewählt wurde, galt einer seiner ersten Vorstösse der Abschaffung des Reglements, welches für das Chlausen eine Bewilligung verlangte und es am Nachmittag verbot – vermutlich ein Erbe aus der Zeit des Bettelklausens. Später, mittlerweile in Amt und Würden als Regierungsrat und Landammann, genoss er es jeweils besonders, sich als Chlaus unerkannt unters Volk mischen zu können.
1999/2000 zog er sich, etwas wehmütig, als aktiver Klaus zurück. Das Silvesterchlausen hatte jedoch schon längst eine Eigendynamik entwickelt, und der Virus grassierte – auch in seiner Familie. So wurde Tochter Kathrin bereits im zarten Alter von 4 Jahren davon erfasst und war jahrelang in einem gemischten «Kinderschuppel» unterwegs; Sohn Adrian gehört seit der 2. Klasse bis heute dem Muldenschuppel an.
«Es ist schon ein besonderes Gefühl,
heute am Silvesterchlausen dabei zu sein und zu sehen, welche Dimensionen der Anlass angenommen hat. Das hätten wir uns in den wildesten Träumen nicht vorzustellen gewagt.»
Hans Höhener ist überzeugt, dass das Silvesterchlausen in Teufen nicht nur zum Zusammenhalt in der Gemeinde beiträgt, sondern auch kulturelle Ausstrahlung hat: Das richtige «Zäuerle ond Gradhebe»muss geübt sein, der Jodlerclub ist da ein geeignetes Trainingslager und hat kaum Nachwuchssorgen, und auch unterm Jahr wird in Teufen noch oft «zäuerlet».
Viel zu verdanken
Er selber verdankt dem Brauch seine, wie er sagt, emotionalsten und gemütlichsten Stunden. Zusammen in aller Herrgottsfrühe frühstücken, auf dem «Strech» den heranbrechenden Morgen erleben oder zu später Stune das «Groscht» abzuziehen und mit den Gästen zusammen in einem Restaurant zu singen, das seien herzerwärmende Erlebnisse. Und noch etwas geht auf die Gründungsmitglieder der Teufner Chläuse zurück: Das «Öberechlause» um Mitternacht zum Abschluss des Silvesters, wenn das alte Jahr aus- und das neue Jahr eingeschellt und eingesungen wird – ein hoch emotionaler, feierlicher Moment. (TP 2011/10)
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