Auch Gemeindepräsident Reto Altherr ist im «Krisenmodus». Die letzten Tage war er im Dauereinsatz. Foto: tiz
Timo ZüstDie «ausserordentliche Lage» aufgrund des Coronavirus beschäftigt auch die Gemeinde. Präsident Reto Altherr erzählt im Interview, wie sich sein Alltag verändert hat, warum ihm die Krise auch Hoffnung macht und was für ein Zeugnis er Teufen bisher ausstellt.Herr Altherr, von Ihrem Büro sehen Sie direkt auf den Dorfplatz hinunter. Wie hat sich Ihre Aussicht in den letzten Tagen verändert?
Am Wochenende habe ich noch keine allzu grossen Veränderungen wahrgenommen. In den vergangenen vier Tagen ist aber einiges passiert. Der Verkehr hat abgenommen und es sind auch deutlich weniger Fussgänger und Fahrradfahrer unterwegs. Das Leben hat sich spürbar verlangsamt.
Was ist mit Ihrem Alltag? Hat der sich auch verlangsamt?
Das kann ich nicht behaupten (lacht). Zwei Hauptfaktoren beeinflussen meinen Alltag derzeit. Einerseits sind sehr viele kurzfristige und prioritäre Aufgaben hinzugekommen. Andererseits wurden viele anstehende Termine abgesagt und längerfristige Projekte mussten nach hinten gerückt werden.
Können Sie ein Beispiel für diese kurzfristigen Aufgaben machen?
Hauptsächlich geht es dabei um das Koordinieren der Informationen. Mein E-Mail-Konto hat sich natürlich in kürzester Zeit mit Anfragen gefüllt. Das ist für uns alle eine ausserordentliche Situation und wir müssen uns erst einmal darin zurechtfinden.
Melden sich bei Ihnen auch Betriebe, die sich über Kurzarbeit etc. informieren wollen?
Ja, das gibt es auch. Auch dort helfen wir gern und leiten sie auch an die entsprechenden Stellen weiter.
Wie ermöglichen wir mehr Homeoffice?
In solchen Krisensituationen liest man von «Führungsstäben» auf jeder Ebene. Wie sieht es bei der Gemeinde aus?
Auch bei uns gibt es einen Führungsstab, den «Gemeindeführungsstab». Heute Vormittag traf er sich zum ersten Rapport. Bis anhin wurden die Massnahmen vom Gemeinderat, Büro Gemeinderat, den Bereichen und der Verwaltung erarbeitet und umgesetzt. Es fand auch schon eine Koordinationssitzung von Verwaltung, Heimen und Schule statt.
Was wurde besprochen?
Wir beschäftigen uns mit einer Vielzahl Themenbereiche. Das meiste sind ganz alltägliche Fragen: Wie stellen wir sicher, dass die Verwaltung weiterläuft? Was für Massnahmen müssen ergriffen werden, um die Ausbreitung hier einzudämmen? Wie ermöglichen wir mehr Homeoffice? In erster Linie aber rüstete sich der Führungsstab für den weiteren Verlauf der ausserordentlichen Lage.
Die Schulen und Heime organisieren sich aber selbstständig, oder?
Genau. Sie erhalten ihre Anweisungen direkt vom Kanton und setzen sie um. Und dazu muss ich sagen: Ein grosses Kompliment dafür, wie die Schulen und Heime diese Situation meistern. Wirklich bemerkenswert.
Welche Massnahmen wurden innerhalb der Verwaltung ergriffen?
Wie bereits kommuniziert, haben wir die Öffnungszeiten angepasst. Zudem wurde die Belegschaft in zwei Gruppen unterteilt. Eine davon arbeitet jeweils im Homeoffice, die andere im Büro. So würden wir bei einem Krankheitsfall operativ bleiben.
Sonnenschein tut auch der Stimmung gut
Werden weiterhin alle Dienste angeboten?
Ja, und das wird auf absehbare Zeit auch so blieben. Es kann aber sein, dass einzelne Aufgaben momentan etwas mehr Zeit benötigen. Dafür bitten wir um Verständnis.
Zum Glück ist nicht tiefster Winter …
Absolut. So fällt immerhin die Schneeräumung weg. Und der Sonnenschein tut auch der Stimmung gut.
In so einer Krise kommen Ängste auf – teilweise auch irrationaler Natur. Ist die Versorgung mit Wasser, Strom und Nahrungsmitteln sichergestellt?
Wir setzen natürlich alles daran, dass unsere Bürger jederzeit gut versorgt sind. Und derzeit gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass eine Knappheit entstehen könnte.
Nebst den ganzen Corona-Fragen hat die Gemeinde auch andere Aufgaben zu erledigen. Für diesen Dienstag war bsp. eine Gemeinderatssitzung angesetzt. Fand sie statt?
Ja. Genau wie alle anderen Gemeindeangestellten arbeitet auch der Gemeinderat weiter. Die Sitzung fand hier im Ratssaal statt. Natürlich mit den nötigen Vorsichtsmassnahmen und genügend Abstand.
Wer hätte das schon gedacht?
Es gab ja auch ein wichtiges Thema zu besprechen: die Doppelspur-Initiative …
Richtig. Darüber werden wir bald informieren können.
Der Bund hat sich bereits gegen eine Abstimmung im Mai ausgesprochen. Wie sieht das die Gemeinde?
Wir sind auch bezüglich den Abstimmungen im Kontakt mit dem Kanton und erwarten in Kürze Rückmeldungen. Wir werden uns entsprechend dem Kanton verhalten. Ganz grundsätzlich ist es in so einer Krisensituation wichtig, dass alle an einem Strang ziehen. Das gilt für Bund, Kanton und Gemeinde. Die Bürger müssen sich auf eine einheitliche Handhabung der Vorgaben verlassen können.
Und falls im Mai nicht abgestimmt wird, werden Appenzeller Bahnen und Kanton Verständnis haben?
Ich hoffe und vermute es. Schauen Sie: Wer hätte vor einem Monat schon gedacht, dass wir hier sitzen und über eine Pandemie mit diesem Ausmass sprechen werden?
Natürlich beschäftigt mich das Ganze sehr
Auch ganz wichtig in dieser Zeit: Information. Sind Sie froh um die Möglichkeit im Internet bzw. auf TP informieren zu können?
Auf jeden Fall. Wir sind sehr froh, können wir diese Plattform nutzen. Auch in den kommenden Wochen werden wir Veränderungen so rasch wie möglich öffentlich kommunizieren.
Sie sagten es richtig: Wer hätte das schon gedacht? Derzeit sind wir wohl alle noch in einer Art Schock-Zustand. Wie geht es Ihnen?
Einerseits bin ich gesund und fit. Aber natürlich beschäftigt mich das Ganze sehr. Was mir hilft, ist die grosse und kompetente Unterstützung der Organe der Gemeinde und des Kantons. Jede Situation wird in einzelne Aufgaben aufgeteilt und diese werden dann sauber analysiert. Danach definieren und ergreifen wir passenden Massnahmen.
Die Rechnungsmodelle der Virologen machen deutlich: Das Coronavirus wird uns noch eine Weile beschäftigen. Hält Teufen das aus?
Ja. Davon bin ich fest überzeugt. Natürlich wird es nicht problemlos gehen. Es wird zu schwierigen Situationen und einzelnen Reibereien kommen. Aber auch das werden wir meistern. Was hilft, ist, sich auf die vielen positiven Entwicklungen zu konzentrieren, die man beobachten kann. Die Menschen helfen sich gegenseitig, handeln solidarisch und stehen zusammen – wenn auch nicht im physischen Sinn.
Stimmt. Es gibt kreative Ideen. Sei es der Lieferservice der Bibliothek und diverser Lokalunternehmen. Oder die Idee einer sozialen Plattform.
Diese Entwicklungen sind es, die mich positiv stimmen. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich alle Teufnerinnen und Teufner auch zur Solidarität mit unseren lokalen Geschäften aufrufen. Nutzen Sie die Angebote und Möglichkeiten, die geschaffen wurden und unterstützen Sie so unser einheimisches Gewerbe.
Der Bund schnürt ein «Hilfspaket» für die Schweizer Wirtschaft. Was kann die Gemeinde tun, um betroffenen Unternehmen zu helfen?
Die Finanzierung von Soforthilfen oder Kurzarbeit erfolgt über den Bund, die Organisation läuft über den Kanton. Aber natürlich gibt es Punkte, bei denen wir lokale Unternehmen unterstützen können. Das werden wir in den einzelnen Fällen bilateral anschauen. Was ich versprechen kann: Wir werden so unbürokratisch und pragmatisch sein wie möglich.
Die Spielplätze lassen wir offen
Noch eine Frage zu den Aussenspielplätzen. Diese waren ja anfangs geschlossen …
Richtig. Wie angekündigt, haben wir diese Massnahme aber überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass wir die Spielplätze offen lassen können. Ausnahme ist der Spielplatz beim Unteren Gremm. Aus Rücksicht auf das Alters- und Pflegeheim bleibt dieser geschlossen. Wir werden auch Hinweise zu den entsprechenden Vorschriften des Bundes anbringen. Das betrifft insbesondere die Gruppenbildung. Der Bund spricht von nicht mehr als fünf Personen.
Bereits jetzt reden Ökonomen von der Rezession, die auf die Corona-Krise folgen wird. Was ist mit der politischen Rezession? Werden Geschäfte auf 2021 vertagt werden müssen …
Diese Frage ist schwierig zu beantworten und hängt ganz von der Länge der ausserordentlichen Lage ab. Stand jetzt sieht es so aus, als ob wir den grössten Teil der für 2020 angedachten Ziele erfüllen können. Wir erledigen soweit möglich auch unsere Tagesgeschäftsaufgaben. Aber einzelne, nicht priorisierte Geschäfte, werden wohl auf 2021 verschoben werden müssen.
«Danke vielmol!»
Die Journalisten reden immer gern von einer «Krise». In diesem Fall ist das Wort wohl aber richtig gewählt. Was denken Sie: Könnte diese Krise einem Dorf wie Teufen vielleicht sogar guttun? Könnten wir als solidarischere Einheit daraus hervorgehen?
Ich erlaube mir, meine Antwort nicht auf unser Dorf zu beschränken. Was derzeit passiert, ist eine richtige Zäsur für unsere Gesellschaft. Das betrifft nicht nur uns Erwachsene und die besonders betroffenen, älteren Menschen, sondern auch die Kinder und Jugendlichen. Schliesslich haben sie so etwas noch nie erlebt. Ich bin überzeugt davon, dass diese Erfahrungen bei uns allen irgendwo hängen bleiben. Wir wissen nun, dass wir zu radikalen Anpassungen in kurzer Zeit und zu weitreichender Solidarität fähig sind. Dieses Wissen könnte in Zukunft durchaus zu nachhaltigen Veränderungen führen.
Zum Guten nehme ich an?
Das hoffe ich natürlich.
Letzte Frage: Was für ein Zeugnis stellen Sie Teufen seit dem Ausruf der «ausserordentlichen Lage» aus?
Ein sehr, sehr gutes. Ich bin beeindruckt von den Schulen, den Heimen, dem lokalen Gewerbe und Institutionen wie der Bibliothek, der Ludothek und viele mehr. Gleichzeitig freue ich mich über die grosse Solidarität. Es ist eine gemeinsame Bewegung entstanden. Es ist mir ein grosses Anliegen, allen die sich in irgendeiner Form engagieren, sei dies in Organisationen aber auch zum Beispiel bei der Nachbarschaftshilfe, herzlich zu danken und ermuntern weiter zu machen. Gemeinsam werden wir diese Situation meistern: «Danke vielmol!»