Matthias Jäger
Die Appenzeller Bahnen informierten am 16. November im gut gefüllten Lindensaal über den Stand des Projekts Ortsdurchfahrt.
Die Ortsdurchfahrt ist zwar in erster Linie ein Bahnprojekt, aber eben nicht nur. Von der Betroffenheit her ist es ein Dorfprojekt, und die Strasse ist kantonal. So sassen denn neben den Vertretern der Appenzeller Bahnen auch der Kantonsingenieur, der Gemeindepräsident, der Gesamtprojektleiter und das Bundesamt für Verkehr mit am Tisch der Referenten.
Stichtag 9. Dezember 2018
Der Fahrplanwechsel vom 9. Dezember 2018 markiert einen Meilenstein in der Geschichte der Appenzeller Bahnen. Ab diesem Stichtag verkehrt neues Rollmaterial durch den Tunnel Ruckhalde und auf der Durchmesserlinie St.Gallen von Appenzell bis nach Trogen. Viertelstundentakt in den Hauptverkehrszeiten und Schnellzüge nach Teufen und Appenzell ergänzen das Angebot. Das Besondere an dieser Umstellung ist, dass sie über Nacht erfolgen muss. Aus technischen Gründen können die alten Züge nicht durch den neuen Tunnel fahren, und die neuen nicht auf dem alten Trassee die Ruckhalde hoch.
Für Teufen bedeutet das, dass am Stichtag der Bahnhof soweit fertig umgebaut sein muss, dass er den neuen Anforderungen gerecht wird. Sicherheitsauflagen und Niederflurzüge erfordern eine Anpassung der Perrons. Der Viertelstundentakt erfordert ein drittes Gleis. In Zukunft muss der Bahnhof Teufen pro Tag 38 kreuzende Züge bewältigen (gegenüber heute vier), weil die Kreuzungen infolge Fahrzeitreduktion von Steigbach nach Teufen verschoben werden. Das bedingt eine umfassende Erneuerung der Bahnhofsanlagen.
Bahnhof, Bahnhofkreuzung und Ortsdurchfahrt
Eine Sanierung des Bahnhofes ohne Neugestaltung der Bahnhofkreuzung macht wenig Sinn und wäre schlecht für Teufen, sagte Kantonsingenieur Urban Keller. In den Abendspitzen ist die Situation mit etwa 1000 Fahrzeugen pro Stunde bereits heute mit Wartezeiten verbunden. Bis 2030 erwartet der Kanton eine weitere Verkehrszunahme auf stündlich über 1200 Fahrzeuge. Dabei ist 85–90% des Verkehrsaufkommens hausgemacht, d.h. Fahrten von, nach, oder innerhalb von Teufen.
Die Umstellung der Appenzeller Bahnen auf den Viertelstundentakt in den Morgen-und Abendspitzen wird die Bahnhofkreuzung weiter belasten. Dann wird im Durchschnitt alle 7 ½ Minuten ein Zug den Individualverkehr behindern. Der Kanton kam nach Prüfung verschiedener Varianten zum Schluss, dass nur ein Kreisel den zu erwartenden Verkehr langfristig bewältigen kann.
Inhaltlich gehören Bahnhof und Bahnhofkreuzung also zusammen und sind als ein Ganzes zu betrachten. Die Bewilligungsverfahren erfolgen nach Eisenbahnrecht auf Bundesebene.
Die Realisierung von Bahnhof, Bahnhofkreisel und Ortsdurchfahrt ist die Aufgabe von Arthur Hitz, dem Gesamtprojektleiter für die Ortsdurchfahrt. Er stellte sich erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vor. Unter anderem bringt er die Erfahrung als Projektleiter beim Umbau des Stadelhoferplatzes in Zürich mit. Wer die Komplexität dieses Platzes in Bezug auf den Verkehr und die betroffenen Geschäfte, Büros, Kinos und Restaurants mit eigenen Augen schon einmal sah, traut ihm auch die Ortsdurchfahrt Teufen zu.
Kurztunnelinitiative
Der 15. Januar 2015 werde zumindest für einige Jahrzehnte einen Schlusspunkt unter eine 60-jährige Debatte über Tunnels und Linienführungen setzen. Diese Erwartung äusserte der Lokalhistoriker Thomas Fuchs in der Tüüfner Poscht vom November 2014. Dieses Abstimmungsergebnis war zwar eindeutig, aber es beendete, wie wir mittlerweile wissen, die Diskussion nicht. Der Gemeinderat wird die Kurztunnelinitiative am 21. Mai 2017 ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung bringen. Er sieht keine Veranlassung, die abgelehnte Tunnelvorlage nochmals ins Spiel zu bringen. Dafür war, wie Gemeindepräsident Reto Altherr ausführte, die Ablehnung zu deutlich.
Doppelspur
Appenzeller Bahnen und Kanton verstanden das Abstimmungsergebnis vom Januar 2015 als Auftrag, die Planung der Doppelspur an die Hand zu nehmen. Diese schreitet unter der Federführung des Gesamtprojektleiters voran. Die Bauausführung der eigentlichen Dorfdurchfahrt (Dorfzentrum bis Stofel) ist allerdings erst ab 2020 vorgesehen. In der Zwischenzeit wird die Planung der Doppelspur mit derjenigen der Gemeinde für die Zentrumsgestaltung koordiniert.
Sicherheitsüberlegungen spielen bei der Modernisierung der Appenzeller Bahnen eine zentrale Rolle. Das gilt nicht zuletzt für die Doppelspur. Situationen wie die aktuelle im Dorf und beim Spar, wo Autolenkern auf «ihrer» Spur eine Bahn wie ein Geisterfahrzeug entgegenkommt, sind nicht mehr tolerierbar. Sie würden heute so auch nicht mehr bewilligt.
Sicherheitsrisiken minimieren
Dem Langsamverkehr fehlt nicht nur an diesen neuralgischen Punkten – aber dort besonders – der Raum. Auch die zahlreichen Bahnübergänge und Einmündungen mit den Blinklichtern sind ein permanentes Sicherheitsrisiko. Die Doppelspur eliminiert die meisten dieser Kreuzungen mit dem Individualverkehr und bringt die Blinklichter zum Verschwinden. Sie schafft mehr Raum für den Langsamverkehr und wirkt, weil die Züge den Individualverkehr im Pulk anführen, verkehrsberuhigend.
Damit brächte die Doppelspur gegenüber der aktuellen Situation, trotz der Mehrbelastung durch den Viertelstundentakt, deutliche Verbesserungen. Die Antwort auf die Frage, ob das für Teufen auch die beste Lösung sei, ist keine technische, sondern eine politische. Dazu können sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 21. Mai dank der Kurztunne-linitiative nochmals äussern.
Im Fall einer Annahme der Initiative müsste die Gemeinde als nächsten Schritt einen Projektkredit ausarbeiten und zur Abstimmung bringen. Bahn, Kanton und Gemeinde müssten anschliessend ein konkretes Projekt für einen Kurztunnel ausarbeiten. Die Gemeinde müsste dieses dann in Form eines Objektkredits nochmals den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern vorlegen. Wie lange das auf der Zeitachse dauert, bleibt offen. Für die Ortsdurchfahrt hiesse das, dass sie, abgesehen von der sanierten Bahnhofkreuzung, auf unbestimmte Zeit unverändert bliebe. Die oben beschriebene Erneuerung der Anlagen im Bahnhof Teufen auf Dezember 2018 muss so oder so vorgenommen werden.
Bahn und Kanton treiben die Umbauten von Bahnhof und Bahnhofkreuzung trotz Kurztunnelinitiative voran. Das sei kein Winkelzug zur Verhinderung eines Tunnels, betonen die Verantwortlichen. Der neue Bahnhofkreisel ist mit der Tunnelvariante kompatibel, die Bahnhofanlagen müssten allerdings nochmals neu gebaut werden.
Bauimmissionen und Betriebsunterbruch
Die Bauarbeiten werden Teufen in jedem Fall über längere Zeit belasten, ab 2018 vorerst beim Bahnhof und auf der Bahnhofkreuzung. Die Appenzeller Bahnen, die Gemeinde und die betroffenen Anwohner, Geschäfte und Restaurants haben ein gemeinsames Interesse an einer möglichst kurzen Bauzeit. Ab April 2018 bis zum Fahrplanwechsel vom 9. Dezember erfolgt ein mehrmonatiger Betriebsunterbruch der Bahn zwischen Teufen und St. Gallen. Die Realisierung der Doppelspur bis Stofel ist für 2020/21 vorgesehen. Dabei machen die Appenzeller Bahnen zur Auflage, dass nach dem Umbau des Bahnhofs Teufen alle weiteren Bauarbeiten ohne längere Betriebsunterbrüche erfolgen sollen. Das verlängert die Bauzeiten.
Im Gerangel um Tunnel, Tunnellänge und Doppelspur droht Niederteufen ins Hintertreffen zu geraten. Dort ist ein Generationenwechsel im Gang. Steigende Schülerzahlen generieren zusätzlichen Langsamverkehr. Der hat auch in Niederteufen zu wenig Raum.
Der Kanton schaute sich die Situation auf Wunsch der Gemeinde genauer an und prüfte mögliche Lösungen. Dabei kam er, wie Kantonsingenieur Urban Keller darlegte, zum Schluss, dass langfristig nur die radikale Umgestaltung der Verkehrsführung eine wirksame Entlastung bringt. Konkret heisst das, die Doppelspur für die Appenzeller Bahnen bis Niederteufen zu verlängern.
Ein grosser Wurf?
Vom Mut zur Vision, von der Notwendigkeit eines grossen Wurfes war an der Informationsveranstaltung in einem Votum aus dem Publikum die Rede. Nur, was ist ein grosser Wurf? Gemeint war die Wiederaufnahme der Tunnelidee, aber nicht im Sinn der Kurztunnelinitiative, sondern im Sinn einer Untertunnelung der Bahn vom Bahnhof Teufen gleich bis zur Gemeindegrenze im Watt. Das wäre eine andere Bahn, hielt der Direktor der Appenzeller Bahnen dem Votanten entgegen. Das würde Appenzell Innerrhoden freuen, aber vier von den fünf Teufner Bahnhöfen vom Bahnanschluss abschneiden. Eine Bahn müsse für die Kunden da sein und dort fahren, wo die Menschen wohnen und zu- und aussteigen, hielt Thomas Baumgartner fest.
Die Appenzeller Bahnen haben eine andere Vorstellung vom grossen Wurf. Für sie sind der Bahnhof Teufen und die Ortsdurchfahrt wichtige Puzzlesteine in ihrem umfassenden Modernisierungsprojekt. Und dieses ist mit dem Ruckhalde-Tunnel, der Durchmesserlinie St. Gallen, neuem Rollmaterial und einem Investitionsvolumen von CHF 300 Mio für eine Bahn mit einem Betriebsertrag von CHF 43.7 Mio tatsächlich ein grosser Wurf. Dabei geht es nicht einmal um die einzelnen Grossbaustellen, sondern um das Gesamtpaket mit einer markanten Verbesserung des Angebots (Verdichtung des Fahrplans, Schnellzüge nach Teufen und Appenzell, neues Rollmaterial mit Niederflureinstieg) und der Erhöhung der Sicherheit.
Dieses Modernisierungsprojekt wiederum ist Teil des regionalen Agglomerationsprogramms. Dieses denkt die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung über die Grenzen von Kantonen und Verwaltungseinheiten hinaus.