Die «Armenhäusler» standen unter einem strengem Regime

14.05.2017 | TPoscht online
Das Haus Bächli 1975.

Mit der Schliessung des Altersheims Bächli geht eine Ära zu Ende. Das beinahe 200-jährige Haus wurde einst als Armenhaus gebaut. In den Schlafsälen lebten bis zu 70 Menschen. Matthias Jäger* ist für uns der Geschichte des ehemaligen Waisen- und Armenhauses nachgegangen und ist in alten Protokollen fündig geworden.

Die Anfänge im 19. Jahrhundert

Die Gemeinde Teufen erwarb 1808 und 1817 im Schönenbüel zwei Liegenschaften zur Einrichtung von Waisenhäusern. Schon kurz darauf, 1821, stellte die Waisenkommission die Grundsatzfrage nach weiteren Investitionen in die beiden alten, baufälligen Häuser. Sie entschied sich für einen Neubau beim Löwenbächli. Das neue Haus, erbaut in den Jahren 1824/26, war als Waisen- und Armenhaus konzipiert.

Allerdings führte eine private Initiative bereits we­nig später, in den Jahren 1832/33, zum Bau eines se­paraten Waisenhauses im Schönenbüel. Von diesem schwärmte der Chronist in den Appenzellischen Jahr­büchern noch 1870: «Die Waisenanstalt im Schönenbüel ist die reichst dotirte im Lande».Fortan diente das Haus Bächli während über 100 Jahren als Armenhaus und Bürgerheim, zuletzt von 1979 bis 2017 als Alters­heim.

Baugeschichtliches

«Waisenhaus Teuffen», kolorierte Zeichnung von Joh. Ulrich Fitzi (1798–1855).

Erbaut 1824/26, wurde das Haus 1864 nach einem Brand neu aufgebaut. Dieser Bau erfüllte mit sporadi­schen Erneuerungen und Anpassungen seinen Zweck bis in die 1970er-Jahre. Dann geriet der Zustand des Hauses einer aufstrebenden Gemeinde zum Schand­fleck. Die Rechnungsprüfungskommission gab 1972 zu Protokoll: «Unsere Kommission besuchte letzthin das Bürgerheim Teufen. Der Zustand dieses Heimes hat uns schockiert. Wir könnten die Verantwortung für die  Weiterführung des Heimes im heutigen Zustand nicht mehr übernehmen».

Der Gemeinderat reagierte. Er beantragte beim Kan­ton, das Bürgerheim aus der Liste von schützenswerten Objekten zu streichen. 1975 legte er ein Projekt mit einem neuen Altersheim und einer grossen Alterssied­lung vor. Dieses Vorhaben scheiterte an der Urne. Der Gemeinderat schloss daraus, die Stimmbürger wollen keinen Abriss, und er legte ein Renovationsprojekt vor. Das Haus wurde umfassend saniert und 1979 als Alters­heim neu eröffnet.

Postkarten-Ansicht Dorf Teufen mit dem Bächli im Vordergrund.

Armenhaus – was war das?

Als Altersheim war das Haus Bächli zuletzt für 24 Pen­sionäre zugelassen. Als Armenhaus und Bürgerheim beherbergte es in Schlafsälen 50-60 Menschen, in den schwierigen Jahren um 1930 herum sogar über 70.

Gemeinden hatten ihren Bürgern gegenüber eine Unterstützungspflicht. Dabei war der Betrieb eines ei­genen Armenhauses eine durchaus wirtschaftliche Lö­sung. Noch im Jahresbericht von 1950 beklagt sich die Gemeinde über die Kosten der Unterbringung von Orts­bürgern in auswärtigen Anstalten, insbesondere in der Heil- und Pflegeanstalt. Diese Kosten waren bedeutend höher als das Defizit des gemeindeeigenen Heims. Ar­menhäuser waren weitgehend selbsttragend, lieferten gelegentlich sogar einen Gewinn an die Gemeindekas­se ab oder äufneten das «Armengut». Geführt wurde die Anstalt durch «Armeneltern», unterstützt durch ledig­lich 2-4 Knechte und Mägde. Den ganzen Rest der Ar­beiten verrichteten die Insassen selber.

Die Armeneltern

Der Begriff Armeneltern ist nicht zufällig gewählt, sondern war Programm. Das Verhältnis zwischen Ar­meneltern und Insassen war demjenigen zwischen Eltern und Kindern vergleichbar: Versorgungspflicht gegen Gehorsamspflicht. Die Versorgungspflicht war umfassend, hatte nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ausgeprägt sittlich-moralische Komponente. Die erhaltenen Reglemente von 1864 und 1892 schrei­ben das explizit fest (siehe Kasten). Die Grundidee der Heimeltern hielt sich bis in die 1980er-Jahre. Erst 1988 wurde das Salär der damaligen Heimeltern aufgeteilt und zu 2/3 als Lohn des Mannes und zu 1/3 als Lohn der Frau ausbezahlt und der Sozialversicherung gegenüber entsprechend abgerechnet.

Armenhauskommission

Die Armenhauskommission (sie firmierte im Lauf der Zeit unter unterschiedlichen Namen) war nicht nur Verwaltungskommission des Armenhauses. Sie hatte weitgehende Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Insassen. So gehörten disziplinarische Ange­legenheiten, insbesondere Entscheide über Entlassungen von Insassen, stets zu den Stan­dardtraktanden der Kommissionssitzungen (siehe Kasten).

Finanzierung

Die Einnahmen setzten sich zusammen aus Zinsen des Armengutes, Entschädigungen für Lohn- und Auftragsarbeiten, sowie aus den Erträgen der Landwirtschaft. Bis zur Kri­se der Textilindustrie in den 1920er-Jahren spielten Spuler- und Weberlöhne eine wich­tige Rolle. Ersetzt wurden diese Einnahmen durch den Aufbau einer Mosterei und einer Holzspalterei. Insbesondere letztere war lukrativ. In Spitzenzei­ten erwirtschaftete sie bis 50% des gesamten Budgets. Auch die Fuhrhalterei, einschliesslich Kehrichtabfuhr für die Gemeinde, war eine wichtige Ressource.

In den Jahren nach 1948, also nach Einführung der AHV, begannen auch die Altersrenten als Einnah­mequelle eine Rolle zu spielen. Mit der umfassenden Versorgungspflicht flossen diese Renten, wie auch alle Saläre, direkt in die Anstaltskasse.

Kostgelder, also der allmähliche Übergang vom Bürgerheim zum Altersheim, begannen in den 1960er Jahren eine Rolle zu spielen. Der eigentliche System­wechsel vom Bürgerheim zum Altersheim erfolgte erst mit der Neueröffnung von 1979. Und dann dauerte es nochmals fast 10 Jahre, bis der Landwirtschaftsbetrieb 1988 vom Altersheimbetrieb abgekoppelt und in Pacht vergeben wurde.

Professionalisierung der Altersarbeit

Die Professionalisierung der Altersarbeit spiegelt sich u.a. im Anteil der Personalkosten an den Gesamtausga­ben. Dieser stieg in den ersten 150 Jahren sehr langsam von unter 10% auf etwa 30% im Jahr 1977. Erst der Sys­temwechsel vom Bürger- zum Altersheim leitete den steilen Anstieg bis auf die aktuellen ca. 80% ein. Diese Entwicklung führte letztlich aber auch dazu, dass sich ein Heim von der Grösse des Bächli unter den heutigen Bedingungen und mit den heutigen Ansprüchen nicht mehr wirtschaftlich führen liess und deshalb geschlos­sen werden musste.

*Matthias Jäger ist Mitglied der Heimkommission der Gemeinde Teufen und freier Mitarbeiter der Tüüfner Poscht

Reglement über die Verwaltung der Armenanstalt von 1892

Auszüge aus dem Reglement

Art. 13

Die Armeneltern sollen gesunde Personen zum öffentlichen Gottesdienste … anhalten, sowie zum täglichen Gebet des Mor­gens und Abends.

Art. 14

Beim Essen der Anstaltsge­nossen soll jedesmal eines der Armeneltern zugegen und besorgt sein, dass alle sich anständig und ordent­lich betragen und sich der Reinlichkeit befleissen.

Das Reglement über die Verwaltung der Armenanstalt von 1892.

Art. 16

Die gesunden Anstaltsge­nossen sollen in der Regel zur Sommerzeit Morgens um 5 Uhr, zur Winterzeit mit Anbruch des Tages an die Arbeit gehen. Abends darf, besondere Fälle ausgenom­men, die Arbeit höchstens bis 8 Uhr dauern.

Art. 26

Ohne Bewilligung der Pfleger und ohne gehörige Stellvertre­tung dürfen die Armeneltern die Anstalt nie gleichzeitig verlassen.

Art. 29

Jeder Anstaltsgenosse ist verpflichtet, den Armeneltern, wie auch den Mitgliedern der Anstaltskommission, willigen Gehorsam zu leisten.

Art. 32

Insassen, welche wegen schlechtem Verhalten wieder­holt in die Anstalt verbracht werden müssen, wird innert Jahresfrist ein Entlassungs­gesuch nicht berücksichtigt.

Protokollauszüge der Armenhauskommission

Entlassungsgesuche liegen vor von:

W.: abgewiesen wegen Benehmen

G.: abgewiesen aus Gesund­heitsgründen

F.: wird wegen ihrer Charak­tereigenschaften abgewiesen J.: abgewiesen wegen frechem Benehmen (1955)

H. stellt abermals das Gesuch entlassen zu werden. Der Armenvater bemerkt, dass H. etwas angetrunken war und dass er es für angezeigt hält, dass demselben von der Commission ein Verweis gegeben würde. Da H. nicht zu Hause ist, wird der Pfleger beauftragt, denselben zur Ord­nung anzuhalten, und betreff Entlassung wird beschlossen, es habe derselbe die Zeit ein Jahr auszuhalten. (1900)

E., geistig nicht ganz nor­mal, erscheint vor der Kom­mission mit dem Wunsch, in St. Gallen eine Zeitungsver-trägerstelle beim «Tagblatt» antreten zu dürfen, damit er ein wenig Geld verdienen könne. Die Kommission hat Bedenken wegen seines geistigen und seelischen Zustandes und beschliesst, mit einer Bewilligung noch zuzuwarten. (1956)

Bekämpfung der Trunk­sucht von Insassen Weiter wird beschlossen, den Insassen B., G. und eventuell weiteren wegen ihres Lasters die Abgabe des Taschengeldes für zwei Monate zu sistieren. (1956)

Anderweitige Versorgung

Da sich G. in der Anstalt nicht gut aufführt und überhaupt eine anderwei­tige schärfere Versorgung wünschenswert ist, wird beschlossen, dieselbe wenn möglich in der Strafkolonie Saxerriet unterzubringen und es wird der Aktuar beauftragt, diesbezüglich Anfragen ergehen zu lassen. (1929)

 

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