



An diesem 29. Oktober, abends nach 19 Uhr schleppt das Team der Dorfbibliothek immer noch mehr Stühle herbei. Die Leiterin der Bibliothek, Karin Sutter, stellt den Raum zur Verfügung und begrüsst die gut 40 Personen im vollen Saal der Bibliothek mit sichtlicher Freude. Das Team hat einen ganzen Tisch mit Büchern zum Thema bereitgestellt. Gastgeberin ist die Aktion für Biodiversität: Lucia Andermatt, Andreas Kuster und Mägi Bischof. Alexander Assmus (GLP-Kantonsrat aus Teufen) führt durch den Abend.
Eine erlebbare Vision
Ja, es ist ein visuelles Erlebnis dieser Film, erstellt mit neuester Gerätetechnik von Leica. Wie mit einer Drohne oder gar im Körper eines neugierigen Vogels gleitet das Publikum über die Stadt und durch einzelnen Häuserzeilen. Die farbigen Darstellungen mittels 3D-Punktewolken und statischen Visualisierungen sind sehr realitätsnah. In wenigen Sekunden wird aus einer Ist-Situation eine «neue Wirklichkeit». Wir sind «mittendrin» in einem Umfeld, das wir von Besuchen in St. Gallen kennen. Quartier für Quartier, den Strassen- und Bahnlinien entlang und auf Plätzen sieht das Publikum Vor- und Nachher-Situationen. Wie von Zauberhand verwandeln sich die sterilsten Orte zu lebendigen Wohn- und Begegnungsräumen für Menschen und andere Lebewesen. Bislang Unvorstellbares wird vor den eigenen Augen «visuelle Wirklichkeit». Den Filmkönnen Sie hier online erleben.
Natur als Problemlöser
Während der letzten 30 Jahre sind in St. Gallen 383 Fussballfelder zugebaut worden. Die Biodiversität ist massiv geschrumpft. In Mitteleuropa gingen zwei Drittel der Wildtierbestände verloren. Unter den Nachbarländern in Europa ist die Schweiz das Schlusslicht. Die merklich höheren Temperaturen und die damit zusammenhängenden Auswirkungen führen besonders in den Städten zu spürbaren Einbussen der Lebensqualität.
St. Gallen liegt in einem Tal und hat mehr als 20 Kilometer Hauptachsen. Dies bedeutet ohnehin grosse Lärmbelastungen und schlechte Luftqualität. Zudem fehlt vielfach der Platz für eine attraktive Nutzung des Strassenraums. 80 Prozent der Menschen leben in Städten. Stadtmenschen sind darauf angewiesen, dass die Stadt attraktiv ist. In den präsentierten Visionen wird die Natur als «Schlüssel zur Lösung vieler Probleme» verstanden. Die Natur ist äusserst anpassungsfähig. An einem heissen Tag unterwegs wünscht man sich viel Schatten und eine natürliche Atmosphäre. Stadtnatur ist zentral für die Lebensqualität und deshalb soll die Natur zurück in die Stadt geholt werden. Bäumen und Sträuchern wird dabei eine prioritäre Rolle eingeräumt. So beinhaltet die Vision des «Grünen Gallustal» das Pflanzen von 58’000 Bäumen in St. Gallen, um eine Baumkronenabdeckung von 30 Prozent zu erreichen (heute 9 %). Ein «durchgehender Grünkorridor» von Ost nach West mit vielen «grünen Verbindungen» zwischen den beidseitigen Hügeln und beispielsweise ein grüner Ring um die Altstadt sollen Wildtieren (und Menschen) «vernetzten» Lebensraum bieten. Bäume wirken wie Klimaanlagen. Unter einem Baum ist es bis zu 12 Grad kühler. Auch die Offenlegung und Renaturierung von Stadt-Gewässern ist Teil der Vision.

Ein Kochbuch
Der Verein Grünes Gallustal entstammt einer Initiative aus der Zivilbevölkerung und setzt sich zum Ziel: St. Gallen zum nationalen Vorbild für eine grüne Stadtentwicklung zu machen. Sie arbeiten an einem – wie sie sagen – «Kochbuch» für die Grünraumaufwertung, das künftig auch auf andere Städte und Gemeinden in der Schweiz übertragen werden kann. Das Experten- und Architektenteam zeigt Projekte und Möglichkeiten mit möglichst grossen Hebelwirkungen und will eine gute Basis für Entscheidungen bereitstellen; ein Ratgeber für Strassen- und Aussenraumentwicklung. Die Umsetzung soll einfach und nahe bei den Menschen sein. Sie sollen sensibilisiert werden und ihre eigene Umgebung (Garten, Balkon) möglichst naturnah gestalten und so zu einer optimalen Vernetzung des Gesamtsystems beitragen.
Erste Ergebnisse
Remo Vetter, bekannt durch seine Tätigkeit im A. Vogel Gesundheitszentrum auf dem Hätschen und seinem Buch «the lazy gardener», gibt einen kurzen Blick zum bislang Erreichten. 2019 bis 2022 wurden Leitbild und Film realisiert. Am 31. Januar 2023 verpflichtete sich der Stadtrat zur Umsetzung. Seither wurden erste, kleinere Projekte umgesetzt (grösstenteils in Eigenleistung). So zum Beispiel die Projekte: Areal Bach, Naschpark Stephanshorn, Innenhof Hotel Dom und natürlich die Begrünung und damit Belebung der Poststrasse vom Bahnhof Richtung Marktplatz. Seit dem 1. Januar 2025 existiert der «Verein Grünes Gallustal», dank Förderung durch den Pionierfonds der Migros. Den Anwesenden wird bewusst, dass der Weg zu einer nutzenstiftenden Umsetzung der Vision erst gerade begonnen hat.


Und in Teufen
Sidney Schär, Fachverantwortlicher Umwelt und Energie, präsentiert das «Biodiversitätskonzept» der Gemeinde Teufen vom April 2024. Grundlage bildet das Regierungsprogramm AR 2020-2023 nach dem ein Drittel der Grünflächen naturnah unterhalten werden sollen. Nach dem Beschluss des Gemeinderates vom 25. März 2021 erhielt im April 2022 die Firma Winkler Richard Naturgärten den Auftrag zur Bestandesaufnahme und Erarbeitung eines Konzeptes. In der Vision der Gemeinde ist formuliert, dass sie «bestrebt ist, einen aktiven Beitrag zur Sicherung der Lebensräume, zu leisten. Nach und nach sollen diverse Gemeindeflächen auf Grundlage des Biodiversitätskonzeptes naturnah umgestaltet, wertvolle Lebensräume geschaffen und die Artenvielfalt gefördert werden».
Die Gemeinde hat nebst dem Schulhausareal in Niederteufen (dort fand 2025 ein Umwelttag statt) drei erste, kleinere Biodiversitätsprojekte realisiert: Landhausstrasse, Schindlerpark und Lindenkreisel. Sie sind einsehbar unter: https://www.teufen.ch/biodiversitaet. Das Gesamtkonzept ist nicht veröffentlicht. Weitere Projekte 2025 sind: Umgebung Betreibungsamt, Pärkli Gremmstrasse und Ebni- und Feller-Park. Für 2026 sind geplant: Hechtplatz Rabatten, Zeughausplatz Rabatten, Reservoir Schlipf und Areal-Umgebung ARA-Teufen. «Der Gemeinderat hatte für das Jahr 2025 einen Budgetbetrag von 100’000 Franken genehmigt. Der Budgetbetrag für 2026 steht noch nicht fest», führt Sidney Schär aus.
Diskussion
Nebst persönlichen Einzelfragen werden an diesem Abend auch Grundsätze diskutiert. Der anwesende Gemeinderat Roger Stutz, Ressort Baubewilligungen, beantwortet einzelne Fragen und bekräftigt unter anderem, dass «tote Steingärten» in Teufen seit einiger Zeit keine Baubewilligung mehr erhalten. Auch auf das Verhältnis der eingesetzten Mittel (100’000 Franken) im Vergleich zu anderen Ausgaben für Dorfprojekte wird hingewiesen, auch für jene, über die die Bevölkerung in Zukunft abstimmen wird.
Alle im Raum verstehen: Wir sind wirklich noch ganz am Anfang einer städtebaulichen Entwicklung, die durchaus auch Relevanz für Dörfer wie Teufen hat. Das Potential, mit vereinten Kräften, Plätze, Strassen, Quartiere, Brachen, Hinterhöfe usw. ökologisch aufzuwerten, ist auf jeden Fall riesig und der mögliche Nutzen gross. Dies nicht nur für die Natur selbst, sondern speziell für den Menschen und seine Lebensqualität. Im Moment ist es kaum realistisch richtig grosse Würfe umzusetzen. Wichtig scheint jedoch, damit zu beginnen und einfach dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben …