Im Bücherschatz blättern

04.02.2020 | Timo Züst
Bernd_Geldmacher
Bernd Geldmacher blättert in der Nürnberger Chronik aus dem Jahr 1493. Foto: tiz Timo Züst Die 527 Jahre alte Nürnberger Chronik von Hartmann Schedel ist eines der bedeutendsten Bücher seiner Zeit. Sie ist eine der seltenen «Inkunabeln». Ein Buch, das noch wie die Gutenbergbibel gedruckt wurde. Bernd Geldmacher hat so eine Nürnberger Chronik in der Sammlung seines Vaters gefunden. Jetzt wird sie ausgestellt. Der grosszügige Raum liegt hoch über dem Trogner Dorfplatz. Die reich stuckierte Decke und die Porträt-Gemälde an den Wänden geben einen Hinweis auf die historische Funktion des Raums: Die war einst der Festsaal der Zellwegers. Heute repräsentiert er den Beginn der Kantonsbibliothek. Die hier untergebrachten Bücher sind Teil einer der ersten Schenkungen. Seit dem 27. Januar (bis 3. April) ist das Zimmer aber einem anderen Thema gewidmet: der Nürnberger Chronik von Hartmann Schedel. Zwei Exemplare dieser rund 700 Seiten starken Zusammenfassung des Weltgeschehens von der Schöpfungsgeschichte bis ins Druckjahr 1493 werden Besuchenden hier in einer Sonderausstellung präsentiert. Der Inhalt der Bücher ist der gleiche. Die Sprache nicht. «Fast alle grossen Bibliotheken haben einen Schedel auf Deutsch oder Lateinisch. Beide nebeneinander zu sehen, ist jedoch eine Seltenheit.» Der Teufner Bernd Geldmacher ist als einer von vier Erben Mitbesitzer der deutschen Ausgabe. Sie entstammt der Sammlung seines verstorbenen Vaters. Und ist ein seltener Fund. Ein Wiegendruck «Im seinem Arbeitszimmer war eine Wand komplett mit Büchern zugestellt. Zwei Reihen davon», erinnert sich Bernd Geldmacher. Sein Vater, Ermut (1923-2009), hatte die Familie nach Teufen gebracht. Beruflich beriet er Unternehmen zu deren Markenpositionierungen. Privat war er unter anderem ein leidenschaftlicher Büchersammler. Nach seinem Tod gingen die Werke in Besitz seiner Frau über. Und 2014 erbten die vier Kinder schliesslich die Bücher. «Das ist gar nicht so einfach. Ich meine, ein Bankkonto kann man aufteilen. Aber wenn man vor so einem Haufen Bücher steht, denkt man sich: Was nun?», erzählt Bernd Geldmacher. Erster Schritt: Kontaktaufnahme mit der Leiterin der Kantonsbibliothek, Heidi Eisenhut. «Im Schnitt hören wir jeden Monat von einer Büchersammlung. Alle können wir leider nicht besichtigen.» Deshalb fragt sie bereits am Telefon nach dem Alter der Bücher. Spannend wird es, wenn sie vor das Jahr 1800 zurückgehen. «Im 19. Jahrhundert wurde der Bücherdruck immer industrialisierter. Da existieren meist zu viele Exemplare.» Und richtig spannend wird es, wenn die Sammlung eine «Inkunabel» enthält. Dieser Begriff steht für Bücher, die kurz nach der Erfindung des Buchdrucks entstanden; also die Drucktechnik sozusagen noch «in der Wiege» gelegt bekamen. Das betrifft Werke aus dem Zeitraum zwischen dem Erscheinungsjahr der Gutenbergbibel (1454) und dem 31. Dezember 1500. «Aber so ein Fund ist extrem selten. In den letzten 100 Jahren wurde die Kantonsbibliothek genau zweimal auf solche Werke aufmerksam gemacht», so Heidi Eisenhut. Der erste Fall war die beeindruckende Sammlung von Carl Meyer (1873-1947; Initiant der Säntis-Schwebebahn). Darin fanden sich ganze 82 Inkunabeln – unter anderem ein Exemplar der Nürnberger Chronik auf Latein. Ebenjenes Buch, das heute neben dem Exemplar von Ermut Geldmacher im Festsaal ausgestellt ist. Anders als bei Meyer fand sich im Arbeitszimmer von Bernds Vater aber nur dieses eine Wiegendruck-Buch. «Als ich das erfuhr, war ich sofort fasziniert. Ich fing an, mich intensiv damit zu beschäftigen. Es nahm mir richtig den Ärmel rein», erzählt Bernd Geldmacher. Wissen angehäuft Bernd Geldmacher ist Initiant der Ausstellung. In den vergangenen Monaten hat er Stunden um Stunden mit dem Studium der Nürnberger Chronik verbracht. Nun sprudelt das angesammelte Wissen nur so aus ihm heraus: «Lateinische Exemplare wurden rund 1400 gedruckt. Deutsche allerdings nur rund 700.» «Stellen Sie sich vor: Die Gutenberg-Bibel wurde bloss rund 180 Mal gedruckt. Ein riesiger Forschritt in so kurzer Zeit.» «Übrigens: Damals kostete eine Chronik nicht coloriert 3 Gulden, coloriert 5 Gulden und coloriert und gebunden 8 Gulden. Zum Vergleich: Eine Familie verdiente damals rund 30 Gulden pro Jahr.» «Der Druck hat rund 1,5 Jahre gedauert.» «Es wurden rund 400’000 Seiten Papier benötigt. Das musste die Druckerei überall zusammenkaufen.» «Die Chronik hätte damit eigentlich ein lukratives Geschäft werden sollen. Man blieb aber auf einem Viertel der Exemplare sitzen. Der Grund? In Augsburg wurde ein kleinerer, billiger Raubdruck hergestellt.» Er ist in seiner Begeisterung kaum zu bremsen. Zu jedem Detail kennt er eine Anekdote: zu den Seitenzahlen, den Druckfehlern, der Papierproduktion oder dem Meteoriteneinschlag 1268. «Ich las in der Chronik ‘es sei ein Stein vom Himmel gefallen’. Also googelte ich und siehe da: 1268 ist ein Jahr eines Vorbeiflugs des Halley’schen Kometen.» So sei es ihm bei der Lektüre der Chronik immer wieder ergangen. Eine rätselhafte Erwähnung bewog ihn zur Internet-Recherche und nach wenigen Klicks ergab die Bemerkung Sinn. Die «bösen» Schweizer Bernd Geldmacher ist von Haus aus Volksökonom. Nach dem Studium in St. Gallen wandte er sich aber schon bald der IT-Branche zu. Heute ist der 59-Jährige als freischaffender IT-Berater in der Gesundheitsbranche tätig. Hat er das Interesse für Bücher von seinem Vater geerbt? «Es scheint fast so. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Faszination nach der Ausstellung einfach endet.» Wie gut er die Lektüre des Mittelhochdeutsch der Nürnberger Chronik beherrscht, beweist er beim Studium seiner Kopie. Daraus gibt er einen Mini-Abschnitt über die «barbarischen Schweizer, welche die Herzen ihrer Zürcher Gegner nach dem Sieg roh verspeisten» zum Besten. «Hier geht es um den Alten Zürcher-Krieg. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Redaktor Hartmann Schedel auf der Seite der Habsburger war.» Mehr über die Nürnberger Chronik und ihre historische Bedeutung finden Sie hier. Hinweis: Die Ausstellung ist noch bis zum 3. April geöffnet (Montag bis Freitag; 14 bis 17 Uhr). Am Samstag, 22. Februar und am Samstag, 21. März wird Bernd Geldmacher jeweils von 14 bis 17 Uhr anwesend sein.

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